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Jazz und Kirchenmusik

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Jazzgottesdienste: "Eine Kur für die Kirchenmusik"

Jazz als Kirchenmusik klingt ungewöhnlich. Dennoch entdecken Pfarrer und Kirchenmusiker den Jazz als neuen Soundtrack für die Liturgie. Von Antje Dechert

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Ein abgedunkeltes Gewölbe, nur einige LED-Strahler erhellen den Raum, farbige Akzente, die bezogen auf Impulstexte und Musik variieren. Dann taucht ein Strahler drei Menschen in blaues Licht: eine Bassistin, ein Gitarrist, ein Saxophonist. "Moonlight Prayer"– Jazzgottesdienst im unterirdischen Gewölbe unter der Kirche Sankt Margret im Münchner Stadtteil Sendling. Kein typischer Gottesdienst, eher ein geistlicher Impuls: Kurze Text, die zum Nachdenken anregen wechseln sich ab mit Jazz.

Die Musik variiert wie die Farben

Die Musik des Moonlight Prayer ist zwar passend zu den Texten ausgesucht, aber doch offen. Bekannte Kompositionen münden in freie Improvisationen, die das Gesagte aufnehmen, damit spielen, aber auch die Stimmung im Raum verarbeiten, widerspiegeln, zurückgeben. Die Musik variiert wie die Farben, die den Raum erleuchten, mal melancholisch, mal klagend, mal ruhelos, fragend. Gerade dieses Facettenreiche, vielleicht auch Bruchstückhafte des Jazz passt eigentlich sehr gut, findet Pastoralreferent Erich Hornstein, der die Moonlight Prayer Gottesdienste in der Münchner Sankt-Margret-Kirche organisiert: 

"Musik, gerade in dieser unterschiedlichen Färbung, auch in diesen manchmal sehr schnellen Wechseln gefühlsmäßig. Das ist genau das, wie es vielen Menschen in ihrem Leben geht: Heute so, morgen so. Kommt schnell irgendwas dazwischen. So sind die Wechsel im Jazz auch. Auch wenn mir vielleicht der eine oder die andere vorwirft, das sei nur so ein Wellnessgottesdienst oder Gefühlsduselei: Ist es eben nicht."Erich Hornstein

Ursprung: Sozialer Protest mit biblischen Bezügen

Als Jazz in den 1950er und frühen 60er Jahren erstmals in Gottesdiensten gespielt wurde, war das ein Skandal. Zu körperlich, zu weltlich, gänzlich unchristlich schien den Kirchen der Jazz. Dabei hat der seine Wurzeln in den Gospels und Spirituals und im Blues schwarzer Sklaven in den amerikanischen Südstaaten. Musik, die eine Form des sozialen Protests war und dabei auf biblische Geschichten Bezug nahm. Auch viele Lebensgeschichten von Jazz-Musikern – wie etwa John Coltrane – sind religiös geprägt.

Bluesmessen in DDR-Kirchen

Eine erste Hoch-Zeit in der Kirche erlebte der Jazz hierzulande trotzdem erst Ende der 70er Jahre mit den so genannten Bluesmessen in einigen evangelischen Kirchen der DDR. Die Bluesmessen wurden für die widerständige DDR-Jugend zum Vehikel für ihren Protest gegen das SED-Regime.

Orgeljazz als Verjüngungskur

Heute experimentieren evangelische wie katholische Kirchenmusiker wieder neu mit dem Jazz. Einer von ihnen ist Daniel Stickan. Als ausgebildeter Organist und Jazzpianist spielt er heute Orgeljazz.

"Ich möchte auf der Orgel das suchen, was Jazz für mich ist. Und es gingen da viele Türen auf. Jazz ist kein Stil, Jazz ist eine Spielhaltung, eine Art des Musizierens und des freien Umgangs mit Musik." Daniel Stickan, Kirchenmusiker

Und genau das mache den Jazz so interessant für die Kirchenmusik. Neben seinen amerikanischen Einflüssen vereint er kulturelle Traditionen aus aller Welt – eine Herausforderung, vor der auch die Kirchen heute stehen. Jazz, sagt Daniel Stickan, könne eine Kur für die Kirchenmusik sein. Allein: Die Kirchenleitungen hätten das noch nicht erkannt. Zu festgefahren seien heute noch die Ansichten darüber, was einen Gottesdienst ausmacht und wie er gestaltet sein soll.

Jazz ist dagegen alles andere als festgefahren. Er erweitere den Raum für religiöse Wahrnehmung, sagt Erich Hornstein vom Münchner Moonlight Prayer. Denn Jazz sei eben genauso wie die Religiosität vieler Menschen heute: interpretationsbedürftig, offen, im Fluss.