Eine Frau sitzt in Reizwäsche und Mantel auf einem Barhocker
Bildrechte: Youtube/ Kanal: Lisa Eckhart

Die Comedian Lisa Eckhart bei einem Auftritt im Wiener Stadtsaal im Oktober 2021

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Huch, ich hab' schon wieder einen antisemitischen Witz gemacht

Alles Persiflage? Lisa Eckhart macht in ihrem aktuellen Programm wieder einen antisemitischen Witz. Ohne jeglichen doppelten Boden. Daran lässt auch ihr restliches Programm kaum einen Zweifel.

Man kann sich nicht sicher sein: Spekuliert Lisa Eckhart auf die Empörung? Schon wieder reißt die österreichische Comedian einen antisemitischen Witz: "Wieso sind in Sachen Humor die Juden den Frauen zwei Nasenlängen voraus?" fragt sie in ihrem aktuellen Programm "Die Vorteile des Lasters". Es ist ein platter Witz, dessen einzige Pointe eines der hartnäckigsten antisemitischen Stereotype ist: Die angeblich lange Nase von Juden, in die Köpfe von Millionen Deutschen (und Österreichern) gebrannt durch Tausende judenfeindliche Karikaturen der Nazis und offensichtlich bis heute dort verankert. Denn das Publikum lacht. 

Eindeutig antisemitisch 

Es ist der einzige derartige Witz in ihrem einstündigen Auftritt im Oktober im Wiener Stadtsaal, den der ORF am 09.11. ausstrahlte und der nun auf Eckharts YouTube Kanal zu finden ist. Auch deshalb kann man nicht sicher sein: Wünscht sie sich empörte Kommentare wie diesen? Ähnlich wie bei verbalen Grenzüberschreitungen der AfD fragt man sich, ob man über dieses Stöckchen springen sollte. Und ähnlich wie bei der AfD lautet die Antwort: Wenn es eine wirkliche Grenzüberschreitung ist, wenn versucht wird, etwas zu normalisieren, was bisher als absolutes No-Go galt, sollte man nicht schweigen. Antisemitische Witze von Comedians im Fernsehen waren bisher ein solches No-Go.   

Also erklären, warum dieser Witz antisemitisch ist. Weil er Juden als Gruppe mit homogenen Merkmalen markiert. Weil er ein antisemitisches Klischee aufgreift und dieses das einzige ist, worüber hier gelacht wird. Weil er ein weiteres Klischee aufgreift – dass der besonders witzigen Juden. Und weil auch ein solches, vermeintlich positives Klischee antisemitisch ist. Und scheinbar positive Aussagen wie Reichtum, Intelligenz oder eben Witz sich im Antisemitismus zu hate speech verkehren, zum Abkanzeln einer Gruppe. Weil der Witz nicht etwa von einem jüdischen Menschen geäußert wird, der so vielleicht sich selbst oder auch das Klischee an sich auf die Schippe nehmen würde. Sondern von einer in Deutschland lebenden Österreicherin ohne jeden jüdischen Background. Und weil dieser Witz keinen größeren Kontext und nicht die Spur eines doppelten Bodens hat. 

Keine Kunstfigur, nirgends 

Genau das behaupten aber Verteidiger von Lisa Eckhart stets: Eckhart spiele auf der Bühne eine Kunstfigur, ihre Witze seien eine Persiflage, Zielscheibe dieser Witze seien die Stereotype selbst. Aber wo ist hier eine Kunstfigur? Was wird hier übertrieben nachgeahmt? Lisa Eckhart spielt weder einen offen judenhassenden Dorfnazi, noch eine insgeheim antisemitische Bildungsbürgerin. Sie spielt höchstens sich selbst: Eine sich ambivalent gebende, aber doch allzu leicht durchschaubare rechtspopulistische Komikerin. Sie ahmt auch den Judenwitz nicht persiflierend nach, dafür bräuchte es irgendeine Art der Markierung, der verbalen oder gestischen Übertreibung etwa. Sie wiederholt schlicht den Judenwitz und damit das antisemitische Klischee. Und das wissen auch die Zuschauer: Denn jenen bleibt hier wie die ganze Vorstellung über kein Lachen im Halse stecken. Es ist ein befreiendes über-andere-Lachen, was den ganzen Auftritt über ertönt, nicht einmal ein erschrockenes über-sich-selbst-Lachen. 

Auch der Kontext kann Eckhart nicht aus der Patsche helfen: Denn die einzige Zielscheibe ihres Humors ist die liberale, woke Twitter-Bubble, die doch bitte aufhören soll zu nerven und Menschen, die einfach nur in Ruhe "Wetten, dass..?" schauen wollen, mit ihren irrwitzigen Apellen zu belästigen. Lisa Eckhart bietet dieser "Wetten, dass..?"-Fraktion eine leicht entzifferbare – und nicht besonders lustige – Breitseite gegen den Feminismus, gegen das Binnen-I, gegen die Aufregung über die rassistische Frage, woher man komme, und auch immer wieder: gegen die Corona-Maßnahmen. Offenbar ist ihr wichtig, in diesem Kontext auch etwas Antisemitismus unterzubringen.

Nähe zu AfD-Ideologen

So entsteht eine Melange, die eine große Nähe zu den verbalen Ausfällen von Björn Höcke oder Götz Kubitschek aufweist. Worüber lacht das Publikum? Nicht darüber, dass hier Ressentiments offengelegt werden, sondern dass jemand sie bedient. Und dabei dieselben Techniken wie die AfD anwendet – knapp außerhalb des Justiziablen zu bleiben. Damit reiht sich Eckart ein in die in den 1990ern in Buchhandlungen verkauften Marcel-Reich-Ranicki-Statuen mit Wulstlippen und überlanger Nase oder in Martin Walsers "Tod eines Kritikers", der die Nazi-Ideologie vom ortlosen Intellektuellen belieferte – also in Klischees, die ohne die jahrhundertealte Ideologie des Antisemitismus nicht vorstellbar sind. Sie demaskiert nicht, sie wiederholt. Wenn Lisa Eckhart meint, die Aufregung über ihren Witz beweise etwas: Dann nur, dass im deutschsprachigen Raum auch 2021 solch "normaler" bzw. "alltäglicher" Antisemitismus nicht widerspruchslos hingenommen wird.

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