Bildrechte: Caroline Seidel/Ruhrtriennale 2017

Caroline Peters

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Der Hund kann singen: "Kein Licht" - Jelineks Atom-Schmerz

Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek rechnet mit der Energie-Politik ab: Seit 2011 hat sie sich mehrmals mit dem Thema beschäftigt. Auf der Ruhrtriennale in Duisburg wurde daraus eine fulminante Text-Revue. Nachtkritik von Peter Jungblut.

"Der Hund kann überhaupt nicht sprechen", heißt es im berühmten Zeichentrick-Sketch von Loriot. Ja, das stimmt, sprechen kann der Hund nicht, aber singen, und wie! Angeleitet von Tiertrainerin Karina Laproye gibt Cheeky jaulend und wimmernd sein Bestes zum Auftakt eines wirklich fulminanten Abends zwischen Varieté und Revue, Tragödie und Oper, Farce und Seminar - kurz und gut ein, wie es im Untertitel heißt: "Thinkspiel". Kein Singspiel wohlgemerkt und auch kein Denkspiel, nein, ein "Thinkspiel". Schon das ist ein herrlich verquerer Begriff, anspielungsreich und rätselhaft.


Wo sind die Lade-Kabel?


Erfunden hat ihn der französische Komponist Philippe Manoury: Ja, er will sein Publikum zum Denken anstiften, zum Denken mit Musik, und das ist mit "Kein Licht" auf überraschend unterhaltsame Weise gelungen. Das Thema Atomkraft ist ja nun nicht gerade witzig, und sowohl beim Gedanken an die furchtbare Tsunami-Katastrophe von Fukushima, als auch bei der Energiewende von Donald Trump wird kaum jemandem zum Lachen zumute sein. Und doch war dieses musikalische "Thinkspiel" nach Texten von Elfriede Jelinek voller rabenschwarzem Humor: Wie glaubwürdig sind zum Beispiel Atomkraft-Kritiker, die händeringend nach den Ladekabeln für ihre Smartphones suchen? Wie schizophren ist eine Gesellschaft, die sich dem Strom ausliefert, aber mit dessen Herstellung hadert? Wie verrückt sind Manager, die sich keiner Schuld bewusst sind und alles auf die Natur schieben?


Musik aus dem Zufallsgenerator


Komponist Philippe Manoury kommt aus dem Forschungsinstitut für Akustik im Pariser Centre Pompidou, dem berühmten IRCAM, und er arbeitet mit Elektronik, auch mit solcher, die rein maschinell erzeugt wurde, mit einer Art Zufallsgenerator also, der sich an mathematisch errechnete Wahrscheinlichkeits-Ketten hält. Hört sich etwas unheimlich an, dieses Gewaber, das sich tatsächlich der Computer ausgedacht hat, und ist natürlich Sinnbild für den verhängnisvollen Glauben der Menschheit an die Technik, die sich längst selbstständig gemacht hat. Manoury selbst griff während der gut zweistündigen Aufführung mehrmals zum Mikrofon, um dem Publikum seine Arbeit zu erläutern.


Donald Trump hält die Erde nicht aus


Regisseur Nicolas Stemann ist erfahren im Umgang mit den anspielungsreichen Textmassen von Elfriede Jelinek. Er weiß zu kürzen, zu streichen, zu verdichten, zu ergänzen, zu ironisieren, und die Literatur-Nobelpreisträgerin selbst weiß das sehr zu schätzen, ist sie doch bekannt dafür, Regisseuren große Freiheiten einzuräumen. Drei Texte rund um die Kernkraft wurden für "Kein Licht" zusammen gefasst, aus den Jahren 2011, 2012 und, vor drei Monaten zu Papier gebracht, von 2017, nachdem Donald Trump beschlossen hatte, seine eigene Klimapolitik zu machen. Ihm sind die letzten zwanzig Minuten gewidmet, die damit enden, dass die Welt explodiert und sich die beiden Hauptdarsteller irgendwo hinter dem Jupiter eine neue suchen. Bis dahin lassen Stemann und seine Ausstatterin Katrin Nottrodt eine technisch ungemein aufwändige, ja monströse Jelinek-Show ablaufen, die so gescheit wie bildmächtig war.


Atomi wird begraben


Wenn Denken so viel Spaß macht, dann bitte mehr davon! In Plastiktanks schimmert eine giftig-grüne Plörre, die zur allgemeinen Gaudi irgendwann herausschießt und die ganze Bühne unter Wasser setzt. Elementarteilchen wirbeln durch die Luft, Männer in Schutzanzügen stiefeln emsig herum, tragen Lichtleisten herein und wieder heraus, und der Hund Cheeky hat alle Pfoten voll zu tun. Niels Bormann und die fernsehbekannte Caroline Peters übernahmen die Sprechtexte, die vier Sänger Christina Daletska, Lionel Peintre, Sarah Sun und Olivia Vermeulen singen nicht nur, sie bewegen die lustig-böse Handpuppe Atomi und beerdigen sie, bringen die Brennstoff-Moleküle zum Tanzen. Ein Wahnsinn, dieser Abend, und was für einer! Schön, dass er auch an den Münchener Kammerspielen zu sehen sein wird. Sehr freundlicher, wenn auch nicht überschwänglicher Beifall, und ein paar vernehmliche Protestrufe - allerdings nicht für den Hund!


Wieder am 26. und 27. August, sowie am 1., 2. und 3. September, später auch in München.