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Gefrorene Vergangenheit

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Aufgetaute Gewissen: "Solaris" am Theater Augsburg

Drei Filme und drei Opern wurden nach Stanisław Lems Solaris (1961) produziert: Das Gedankenspiel ist immer noch faszinierend - was wäre, wenn unsere Toten wiederauferstehen, als Projektion? Eine kühle Gewissensfrage. Nachtkritik von Peter Jungblut

Über dieses Thema berichtet: BR-KLASSIK am .

Mit der Wiederauferstehung konnte sich schon König Herodes so gar nicht anfreunden. In Oscar Wildes Theaterstück "Salome" will er Jesus die Auferweckung der Verstorbenen sogar offiziell verbieten, und seufzt: "Es wäre schrecklich, wenn die Toten wiederkämen!" Kommt vermutlich ganz auf das persönliche Gewissen an, und genau darum geht es in Stanisław Lems Science-Fiction-Klassiker "Solaris" aus dem Jahr 1961. Auch dort stehen die Toten wieder auf, in diesem Fall kein Wunder, sondern täuschend echte Projektionen, gespeist aus den bösen Erinnerungen der Lebenden, angefertigt vom intelligenten Ozean auf dem Planeten Solaris.

Emsige Selbstgespräche im All

Ein geniales Gedankenspiel, das natürlich drei Mal verfilmt und inzwischen auch schon drei Mal vertont wurde, zuletzt 2015 vom japanisch-britischen Komponisten Dai Fujikura (Uraufführung im März 2015 in Paris). Er fasst sich kurz, knapp neunzig Minuten dauert die Oper, was kein Problem wäre, wenn Textdichter Saburo Teshigawara nicht so ausschweifende Dialoge geschrieben hätte. Es wird fast pausenlos gesungen, die Musik bekommt da fast schon Schnappatmung, so wenig Freiraum hat sie, und die Übertitel-Anlage ist ebenfalls schwer beansprucht. Anders als Komponisten-Kollege Detlev Glanert 2012 hat sich Fujikura auch keine Gedanken darüber gemacht, wie dieser intelligente Planet Solaris wohl klingen könnte. Stattdessen konzentriert sich der Japaner ganz auf die innere Welt des Astronauten Kris Kelvin, der emsig Selbstgespräche führt.

Einer ruht bereits im Tiefkühlfach

Die Echo-Effekte, die aggressiven Streicher-Passagen, die lautstarken Ausbrüche - all das lässt den Lehrmeister von Fujikura erahnen: Elektronik-Pionier Pierre Boulez. Kris Kelvin wird auf einer Raumstation in der Umlaufbahn von Solaris mit einer täuschend echten Kopie seiner verstorbenen Frau konfrontiert - die hat sich vor zehn Jahren selbst getötet, und weil Kelvin damit nicht fertig wird, zwingt ihn Solaris zur Gewissenserforschung, wie auch alle anderen Wissenschaftler in dem Labor. Einer von ihnen ruht bereits im Tiefkühlfach, gescheitert an den Toten, die ihn verfolgten.

Hermetisch verschlossen, grell beleuchtet

Lichtdesigner Marco Vitale, Ausstatter Robert Schweer und Regisseur Dirk Schmeding fanden am Augsburger Theater ganz starke, überzeugende Bilder für diese populäre, aber inzwischen auch etwas verzopfte Science-Fiction-Story: Aus dem Bühnen-Nebel schiebt sich im gleißenden Gegenlicht eine Art Container nach vorn, karg eingerichtet, hermetisch verschlossen, grell ausgeleuchtet. Die Lamellenwände flackern gespenstisch, die beigen Overalls verbreiten Tristesse, das dreistöckige Bett sieht so unbequem aus wie die allgemeine Lage in diesem Astro-Verlies.

Er stürzt hinter den "Ereignishorizont"

Alles ist hier stark unterkühlt - wie der tote Kollege Gibarian, der gleichwohl mit Eiskristallen im Haar dem Stickstoff-Tank entsteigt und noch mal eingreift ins Geschehen. Der russische Bass Stanislav Sergeev macht das mit gravitätischem, ja heiligen Ernst. Der holländische Bariton Wiard Witholt in der Hauptrolle des Kris Kelvin überzeugt gerade deshalb, weil er nicht nervös oder gar hysterisch überreagiert, sondern sich und seine Situation staunenswert cool analysiert. Am Ende stürzt er sich in den Ozean von Solaris, keiner weiß, was ihm dort widerfahren wird, das liegt hinter dem, wie Physiker es formulieren würden, "Ereignishorizont", also dort, wo keine Naturgesetze mehr gelten, wo keine Aussagen mehr möglich sind.

Aufwändige Live-Elektronik

Die koreanische Sopranistin Jihyun Cecilia Lee singt und spielt die Erscheinung der Hari, der verstorbenen Ehefrau von Kris Kelvin, unglaublich intensiv und authentisch. In diesem Fall passt ihre asiatische Herkunft perfekt zur Rolle, haben es Koreaner wegen ihrer Tradition doch häufig schwer, auf der Opernbühne leidenschaftliche Emotionen zu zeigen. Mit ihrer Verletzlichkeit, ihrer Zurückhaltung, ist Lee jedoch ein ergreifend realistisches Solaris-Trugbild. Dirigent Lancelot Fuhry hatte trotz kleiner Besetzung viel zu koordinieren, dank aufwändiger Live-Elektronik und Gesangs-Passagen aus dem Off. Das alles war offenkundig bestens geprobt und abgemischt. Eine überzeugende Leistung des Theaters Augsburg.

Wieder am 26. und 31. Mai, weitere Termine im Juni.