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Abschied: Eugen Onegin

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Angst vor Struwwelpeter: "Eugen Onegin" in Linz

Angst vor Struwwelpeter: "Eugen Onegin" in Linz

Vor nichts hatte der russische Adel soviel Angst wie vor Langeweile, was in Puschkins Versroman und in der gleichnamigen Oper von Tschaikowsky Hauptthema ist. Da hat die Liebe keine Chance, das "Biedermeier" siegt. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Er hat panische Angst vor dem Alltag, vor der Routine, vor Langeweile - und stürzt sich deshalb ins pralle Leben. Das Teuflische daran: Auch die Flucht vor dem Alltag wird eines Tages zwangsläufig zur Routine, wird irgendwann langweilig und öde. Sozusagen der Fluch der Nihilisten. Sie glauben an nichts, erhoffen nichts, erwarten nichts, außer Abenteuer, Zerstreuung, Abwechslung, und stehen schließlich vor dem Nichts, das sie immer so scheinbar souverän gepredigt haben.

Wespentaille und Puffärmel

Tatsächlich ist das oft nur arrogant – so arrogant wie Alexander Puschkins berühmtester Held Eugen Onegin. Er ist blasiert, gebildet, ironisch und weiß einfach nicht, wie es weitergehen soll, mit ihm selbst, mit der Liebe, mit Russland. Diese gleichgültige Haltung war typisch für den aufsässigen Adel der Zeit um 1833, als der Versroman erschien, und genau da lassen Regisseur Gergor Horres und sein Ausstatter Jan Bammes die gleichnamige Oper von Tschaikowsky im Landestheater Linz spielen. Die Biedermeier-Frisuren und –Kostüme erinnern an die Figuren aus „Struwwelpeter“, bekanntlich ebenfalls in der Zeit von Wespentaille und Puffärmeln entstanden (1844).

Ein Jahrhundert verpasst?

Es wird auf dem hier gezeigten Landgut allenthalben hysterisch gekichert, dumm geschwätzt, einfallslos gefeiert, Onegin scheint also völlig richtig zu liegen mit seinem Überdruss an dieser engstirnigen Schickeria. Kühl belehrt er die junge Tatjana, die sich in ihn verliebt hat, dass das alles gar keinen Sinn hat. Als sie älter geworden ist und nicht mehr Bücher liest, sondern Bücher schreibt (als emanzipierte Literatin ist sie sehr glaubwürdig), besinnt sich Onegin, sucht nach der Liebe, für die es nun viel zu spät ist. Am Landestheater Linz ganz besonders spät, denn im dritten Akt tragen plötzlich alle Mitwirkenden Kostüme der 1920er Jahre, als ob sie beim Tratsch und Klatsch ein ganzes Jahrhundert verpasst haben. Womöglich ging es Regisseur Gregor Horres darum, das vor- und nachrevolutionäre Russland zu zeigen.

Großartig ausgeleuchtet

Über der ansonsten leeren Bühne schwebt eine Spielfläche mit lauter Stühlen. Sie gerät in die Schieflage, wenn es dramatisch wird und auch mal außer Sichtweite, wenn der Untergang droht, ist also Sinnbild für die Lebensstationen von Onegin. Das ist großartig ausgeleuchtet (Licht: Johann Hofbauer) und ergibt durchaus magische Bilder, da wäre der andauernde Schneefall gar nicht nötig gewesen. So häufig, wie dieser Effekt für Kälte im Allgemeinen und Russland im Besonderen herhalten muss, ist er längst mehr Ärgernis als treffendes Symbol. Leider wirkt auch die Regie insgesamt eher dekorativ als zupackend.

Äußere Opulenz

Der Nihilismus von Onegin wird nicht wirklich ätzend und in aller Härte illustriert, und das Thema Homosexualität, das neuerdings in fast allen Inszenierungen betont wird, spielte gar keine Rolle, obwohl beide, Puschkin und Tschaikowsky, mit ihren Werken natürlich ihre damals noch „tragische“ Veranlagung verarbeiteten. So blieb es bei äußerer Opulenz mit allzu zaghafter Kritik an biedermeierlicher Oberflächlichkeit.

Beim Ballett klaffte eine "Leerstelle"

Die Musik ist eigentlich sehr viel sarkastischer, weltschmerzhaltiger, wurde vom in Sri Lanka geborenen und in Deutschland aufgewachsenen Dirigenten Leslie Suganandarajah allerdings betont elegant, ja gediegen interpretiert. Das fiel besonders auf, weil es gar kein Ballett gab, das sonst bei Tschaikowsky für den großen, sentimentalen Auftritt zuständig ist. Da klaffte eine „Leerstelle“. Gesungen wurde überwiegend solide, vor allem vom in der Tat melancholischen Martin Achrainer in der Titelrolle. Izabela Matula als Tatjana spielte und sang die reifere Frau wesentlich überzeugender als den romantischen „Backfisch“. Michael Wagner steuerte als Fürst Gremin ordentlich Bass-Zauber bei, der polnische Tenor Rafał Bartmiński enttäuschte als Lenski durch seinen arg passiven Ausdruck, der womöglich seiner Unsicherheit entsprang. Insgesamt ein durchaus zeitgemäßer, optisch berückender, aber auch etwas harmloser Tschaikowsky-Abend. Wütende Zuschauerproteste, wie in der provokanten Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper in München üblich, gab es jedenfalls nicht.

Wieder am 11., 24. und 29. Mai, sowie weitere Termine.