Ein Wahlbus der AKP kurvt an der zentralen Moschee in Diyarbakir vorbei. Das ist aber auch schon fast das einzige sicht- und hörbare Indiz für den Wahlkampf im Zentrum der Millionenstadt - keine Wahlkampfstände, keine Plakate.
Die HDP hat vor kurzem Flyer verteilt, erzählt ein Mann. Aber dann sei die Polizei gekommen und habe sie beschlagnahmt, weil sie nur in kurdischer Sprache waren.
Verängstigte Wähler
Am Rande des Platzes taucht plötzlich eine Gruppe Männer auf. Salim Ensarioglu, der Kandidat der neuen Iyi Partei setzt sich auf einen kleinen Hocker und berichtet von verängstigten Wählern: "Bei uns hat die Polizei nie eingegriffen. Aber viele Wähler haben uns angerufen und erzählt, dass sie nicht zu unseren Wahlkampfveranstaltungen kommen konnten, weil sie Angst hatten, wenn da Fotos von ihnen gemacht werden, könnten sie vielleicht ihren Job verlieren."
Das Freitagsgebet ist gerade vorbei. Einige Männer scharen sich um den Parlamentskandidaten. Zafer, ein älterer Mann, macht sich Sorgen, ob morgen alles ruhig bleibt bei der Wahl: "Das glaube ich nicht. Wir haben gehört, dass hier 5.300 Sicherheitskräfte in den Wahllokalen im Einsatz sei werden." Er könne sich nicht vorstellen, dass die Stimmabgabe friedlich bleibe.
Wahlbeobachter der HDP
Denn Sicherheitskräfte dürfen in die Wahllokale - Sicherheitskräfte der Regierung. Viele Kurden fühlen sich dadurch eingeschüchtert. Die HDP versucht mit eigenen Wahlbeobachtern gegenzusteuern.
Angeblich sind allerdings einige von ihnen festgenommen worden. Der Kandidat der sozialdemokratischen CHP bei den Parlamentswahlen Serif Dogru fürchtet, dass es noch mehr treffen könnte. Darum arbeitet seine Partei mit der HDP zusammen: "Wir halten als Vorsichtsmaßnahme schon mal von uns Wahlbeobachter vor. Und bis Sonntag werden die Wahlbeobachter von der HDP nicht zuhause schlafen."
CHP führt kurdenfreundlichen Wahlkampf
Der Präsidentschaftskandidat der CHP Muharrem Ince bemüht sich in seinem Wahlkampf sehr um die HDP, fährt einen kurdenfreundlichen Kurs. Das bekommt auch Serif Dogru in Diyarbakir zu spüren: "Wir haben ein gutes Verhältnis. Wir hoffen alle, dass die HDP die Zehn-Prozent-Hürde schafft und dann im zweiten Wahlgang Muharrem Ince unterstützt. Dann wird Ince Präsident. Sie sagen, wir gehören jetzt zusammen."
AKP bislang zweitstärkste Kraft
Solche Töne wären noch vor ein paar Monaten undenkbar gewesen. CHP und HDP hat in der Vergangenheit wenig verbunden. Die AKP ist in der Region zweitstärkste Partei, hat durchaus eingefleischte Anhänger. Erdogan habe viel für die Region und beispielsweise ihre Infrastruktur getan, sagt der Geschäftsmann Recep. Er sieht den Wahlkampf unkritisch: "Ich beobachte die transparenteste Wahl der vergangenen Jahre. Jeder darf seinen Wahlkampf führen, wie er will. Es läuft alles ganz normal jetzt in der Zeit vor den Wahlen."
Am späten Nachmittag endet der Wahlkampf. Bis dahin will Salim Ensarioglu, der Kandidaten der neuen Iyi Partei, noch mal alles geben in Gesprächen, auch wenn seine Stimme nicht mehr so recht mitspielen will. Seine wichtigsten Botschaften: "Erstens: Ich werde den Wählern sagen, dass sie wählen gehen sollen. Zweitens: Nachdem sie gewählt haben, sollen sie die Wahlurnen schützen."
Zwischenziel: Zehn-Prozent-Hürde
Auch der CHP-Kandidat Serif Dogru setzt auf den direkten Kontakt, schüttelt in den engen Gassen von Diyarbakir viele Hände vor allem von eingefleischten Wählern der prokurdischen HDP. Einer davon ist überzeugt davon, dass die HDP ins Parlament einzieht, mindestens zwölf Abgeordnete aus Diyarbakir nach Ankara schicken wird. Er spricht aber auch von der neuen Nähe zwischen HDP und CHP.
Und Dogru erklärt ihm: "Muharrem Ince hat gesagt, er wird auch Minister von der HDP in sein Kabinett holen. Wir werden das Land gemeinsam regieren."
Stichwahl Erdogan - Ince
Es sieht nach einem Geben und Nehmen aus. Ince braucht die Stimmen der HDP bei einer möglichen Stichwahl. Und CHP-Wähler wollen bei den Parlamentswahlen die HPD unterstützen.
Das macht Zafer Hoffnung: "Ich hoffe, wir werden gewinnen, also mindestens zwölf, 13 Prozent bekommen und damit die Zehn-Prozent-Hürde nehmen. Was die Präsidentschaftswahlen angeht, da wird es wohl einen zweiten Wahlgang geben. Und dann werde ich für die CHP stimmen - auf jeden Fall."