Das Foto zeigt den Österreichern Bundeskanzler Sebastian Kurz zusammen mit einer älteren Dame. Die Frau trägt Tracht, eine rot-weiß-rote Flagge und sie begrüßt den Kanzler sichtlich begeistert mit gebührenden Abstand. Entstanden ist das Foto am 13. Mai, beim Besuch des Kanzlers in der kleinen Gemeinde Kleinwalsertal in Vorarlberg. Es wird später die Beiträge praktisch aller reichweitenstarken Medien zieren, die über den Besuch berichten.
Dabei lässt sich die Kanzlervisite in Kleinwalsertal auch so zusammenfassen: "Das was da passiert ist war ein schwerer und für Sebastian Kurz sehr ungewöhnlicher PR-Fehltritt", sagt der österreichische Politikberater Thomas Hofer.
Hintergrund: Sebastian Kurz kommt im Kleinwalsertal in Kontakt mit hocherfreuten Bewohnern, die einander und dem Kanzler viel zu naherücken, viele ohne Schutzmaske. Ein Problem für den Kanzler, der seit Wochen eine strenge Einhaltung der Abstandsregeln anmahnt und sonst immer penibel auf seine Außendarstellung achtet. Die kritische Szene hat die Tageszeitung Voralberger Nachrichten in einem Video festgehalten. Sebastian Kurz ist zu sehen, wie er sich den Weg durch eine Menschenmenge bahnt und sogar für Handyfotos posiert.
Redaktionen haben den Besuch verpasst
Die wenigen Fotos, die Medien unter dem Stichwort Kleinwalsertal bei den gängigen Bildagenturen zur Verfügung stehen, zeigen diese Szenen aber nicht: "Furchtbar, es ist wirklich ganz ganz furchtbar, wenn so etwas passiert und da muss man echt aufpassen", ärgert sich Matthias Cremer. Der 64-jährige ist der einzige angestellte Fotograf der Wiener Tageszeitung "Der Standard" und seit Jahrzehnten erfolgreich im Geschäft. Redaktionen größerer Medien hätten den Besuch des Kanzlers im Kleinwalsertal schlicht verpasst oder aus Kostengründen keine Fotografen hingeschickt, sagt er.
Sebastian Kurz mit Entscheidermiene und Handy am Ohr, Sebastian Kurz als Erklärer im Gespräch mit den Größen der Weltpolitik – immer wieder illustrieren Medien ihre Berichte mit Bildern, die den Kanzler in Szene setzen. In der Regel hinter der Kamera: Dragan Tatic.
Die Bilder präsentieren Kurz im besten Licht
Dragan Tatic ist seit 2013 der offizielle Fotograf von Sebastian Kurz und laut der Homepage des Bundeskaleramts externer Referent in der Abteilung "Digitale Kommunikation". Für ein Interview mit der ARD steht Tatic nicht zur Verfügung. Sein Argument in früheren Interviews: Er mache seit Jahren Fotos von öffentlichen Terminen und stelle sie zur Verfügung, ohne Einfluss darauf, ob Medien diese Bilder auch nehmen. Eine durchaus problematische Praxis, sagt Politikwissenschaftlerin Petra Bernhard.
"Das sind Bilder, die eine ganz bestimmte idealtypische Perspektive auf Politik einnehmen, die also die Auftraggeber und Auftraggeberinnen im besten Licht präsentieren. Wenn dieses Bildmaterial zum Gegenstand der journalistischen Berichterstattung wird, dann übernehmen Medien zwangsläufig auch diese Perspektive." Petra Bernhard
Redaktionen stehen unter großem finanziellen Druck
Politikwissenschaftlerin Petra Bernhard ist Expertin für visuelle Kommunikation und PR-Fotos in der Politik. Bei den Fotos handle es sich meist um sehr gute Fotos, die zudem kostenlos über Bildagenturen angeboten werden, sagt Petra Bernhard. Ein Faktor für Redaktionen, die unter hohem ökonomischem Druck ständen. Doch Vorsicht:
"Wenn jetzt ein Ausschnitt eines Ereignisses präsentiert wird – wie jetzt im Kleinwalsertal eine ältere Dame in Tracht mit der Österreichfahne, die dem Kanzler zujubelt und sich über seinen Besuch freut, dann ist das eine Perspektive auf das Ereignis, aber es ist selbstverständlich keine repräsentative Berichterstattung." Petra Bernhard
Mehr Journalismus, weniger Ästhetik
"Der Standard"-Fotograf Matthias Cremer will dem Kanzler keinen Vorwurf aus dieser Praxis machen, denn dieser wolle ja schließlich wiedergewählt werden. Redaktionen müssten eben selbst Fotografen beauftragen oder die Verwendung von Kanzleramtsfotos transparent machen. Die Bilder aus dem Kleinwalsertal zeigten besonders deutlich, worin der Unterscheid bestehe.
"Das Journalistische ist, dass man versucht, das Markante an einer Situation herauszuarbeiten, auch wenn das jetzt nicht im Sinne des Bundeskanzlers ist. Wenn einer, der wochenlang predigt – haltet Abstand, macht Mundschutz und passt auf aufeinander - quasi ein Bad in der Menge nimmt, dann läuft da was schief. Das muss man darstellen. Da geht es gar nicht um Ästhetik, sondern um das Dokumentieren dieser Situation. Das muss man machen – das ist genau der Punkt. Und wenn man auf diesem Punkt nicht drauf ist – ist man kein Journalist." Matthias Cremer ist Fotograf der Wiener Tageszeitung 'Der Standard' und seit Jahrzehnten erfolgreich im Geschäft.
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