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Max Friedrich, Herzpatient

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Mangelware: Keine Herzschrittmacher für Kinder

Viele Medizinprodukte, aber auch Medikamente gibt es für Kinder nicht. Die Ärzte müssen auf Geräte oder Präparate für Erwachsene zurückgreifen. Heute findet ein erstes Treffen in Berlin statt, um an dieser Situation etwas zu ändern. Von C. Grimmer

Den Ausschlag gab ein Brandbrief des Kompetenznetzes Angeborener Herzfehler und des Universitätsklinikums des Saarlandes. Der Kinderkardiologe Hashim Abdul-Haliq erklärte darin, dass er nun den letzten kleinsten Schrittmacher der Welt in ein sechs Monate altes Baby implantiert habe, da der Medizingerätehersteller die Produktion des Gerätes eingestellt habe.

Keine Herzschrittmacher für Kinder

Auch dieser kleinste Herzschrittmacher war nicht für Kinder entwickelt worden, sondern für Erwachsene. Rund 110.000 Pacemaker, wie sie in der medizinischen Fachsprache auch genannte werden, wurden 2017 bundesweit in Erwachsene implantiert. 5.000 Geräte gerade einmal in Kindern. Die Stückzahl ist so gering, dass es sich für die Medizingerätehersteller schlichtweg nicht rentiert Herzschrittmacher speziell für Kinder zu entwickeln. Die Kosten wären zu hoch. Und das betrifft nicht nur dieses Produkt, sondern zum Beispiel auch Katheter oder Stents.

"Es gibt keinen einzigen speziell für Kinder entwickelten Herzschrittmacher. Prinzipiell unterscheidet sich ja die Herzaktion in einem Neugeborenen gar nicht von dem eines alten Menschen, aber es gibt viele Spezifitäten. Das ist die Größe des Kindes, selbstverständlich, es ist aber auch die Frequenzsteigerung. Das heißt, ein aktives Kleinkind erreicht viel höhere Herzfrequenzen als ein Erwachsener zum Beispiel - bis an die 200 Schläge pro Minute.“ Prof. Dr. Sven Dittrich, Kinderkardiologe Uniklinik Erlangen         

Berlin reagierte schnell

Das Bundesgesundheitsministerium reagierte auf den Brandbrief aus dem Saarland und lädt nun nach Berlin ein. Mit am Tisch sitzen Medizinproduktehersteller, das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM, sowie unter anderem Vertreter der betroffenen Facharztverbände. Auch Prof. Dr. Sven Dittrich von der Uniklinik Erlangen wird mit am Tisch sitzen. Die Erwartungen sind nicht allzu groß, doch dass so schnell ein runder Tisch gebildet wurde, ist auch für Prof. Dittrich ein erster Erfolg. Schon lange kämpfen betroffene Ärzte für eine bessere Versorgung von Kindern in diesem Bereich.

Max und seine Operation

Max ist eineinviertel Jahre alt und bereits während der Schwangerschaft war klar, dass er so schnell wie möglich einen Herzschrittmacher benötigt. Sein Leben war in Gefahr. Vier Wochen vor dem Geburtstermin wurde er von den Ärzten geholt. Er war gerade einmal 47 Zentimeter lang. 14 Tage später wurde er operiert und erhielt einen Herzschrittmacher für Erwachsene durch Prof. Dittrich. Der wurde bei ihm im linken Bauchbereich implantiert, weil oberhalb des Herzens, wie bei großen Patienten, kein Platz ist. Der Pacemaker wird standardmäßig mit 50 Zentimeter Kabel geliefert. Die mussten auch bei Max im Körperinneren vernäht werden.

"Es wäre eine ganz einfache Lösung: Natürlich brauchen Kinder, denen von außen ein Kabel auf das Herz genäht wird und der Schrittmacher nur fünf Zentimeter da drunter liegt, keine 50 Zentimeter lange Kabel. Es gibt aber nur 50-Zentimeter-Kabel.“Prof. Dr. Sven Dittrich, Kinderkardiologe Uniklinik Erlangen              

Off-Label-Medikamente

Dass es keine medizinischen Geräte für Kinder gibt, ist nur ein Beispiel. Bei den Frühgeborenen sind die Ärzte ebenfalls darauf angewiesen, so genannte Off-Label-Medikamente zu verabreichen. Das heißt, sie sind auch hier gezwungen den Frühchen Tabletten für Erwachsene zu geben. Dabei müssen sie sich einzig auf ihre Erfahrung bei der Dosierung verlassen. Auf Intensiv- und Neugeborenenstationen erhalten mehr als 90 Prozent der kleinen Patienten nicht für Kinder zugelassene Medikamente, in den Kliniken sind es 70 Prozent.

"Off-Label bedeutet, dass dieses Medikament für die Patientengruppe formal nicht zugelassen ist. Das heißt, vom Hersteller gibt es keine Dosierungsempfehlungen und es gibt auch im Endeffekt keine Empfehlung dieses Medikament bei den Patienten einzusetzen.“ Patrick Morhardt, Neonatologie Uniklinikum Erlangen

Seit 2007 neues Gesetz

Zwar hat die EU versucht durch ein Gesetz Pharmahersteller dazu zu bringen neue Medikamente auch für Kinder zu testen. Dafür erhalten sie einen verlängerten Patentschutz für ihr Produkt. Das hat zwar bewirkt, dass neuere Medikamente auch Zulassungen für Kinder haben, doch meist werden die älteren Präparate verwendet, da die Ärzte damit ausreichend Erfahrung haben.

Uniklinik Erlangen übernimmt Vorreiterrolle in Deutschland

Erlangen baut nun die erste und einzige Dosierungsbank in Deutschland auf. Darin werden auch Erfahrungen der Ärzte über die Verabreichung von Erwachsenen-Medikamenten an Kindern gesammelt, aber vor allem soll die Datenbank auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Dann sollen Dosierungsempfehlungen für verschiedene Altersgruppen erstellt werden.

"Wir versuchen Publikationen zu durchsuchen nach Informationen, im Idealfall natürlich auch kleine klinische Studien durchzuführen. Wir wollen versuchen wegzukommen von der reinen Erfahrung und eine auf Daten basierende Therapieempfehlung zu entwickeln.“ Stefan Wimmer, Uniklinikum Erlangen

Da das Problem in ganz Europa herrscht, arbeitet die Uniklinik mit Kollegen aus den Niederlanden zusammen, um in ein paar Jahren Empfehlungen für 850 Wirkstoffe veröffentlichen zu können.