Archivbild (Mai 2022): Ein palästinensischer Kämpfer in einem Tunnel.
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Archivbild (Mai 2022): Ein palästinensischer Kämpfer in einem Tunnel.

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Was über die Hamas-Tunnel unter Gaza bekannt ist

Hunderte Tunnel unter Gaza, in denen Waffen lagern und durch die die Hamas mit Motorrädern fährt: Die in Israel sogenannte "Metro" nutzt die Hamas für Angriffe - und könnte für Israel auch bei einer eventuellen Bodenoffensive zum Problem werden.

Über dieses Thema berichtet: Tagesschau am .

Schwer bewaffnete uniformierte Hamas-Terroristen mit schwarz-grün bemalten Gesichtern bewegen sich hektisch durch einen unterirdischen Tunnel. Im Hintergrund läuft martialische Musik. Sie öffnen eine Tür nach oben, tauchen plötzlich auf der Oberfläche auf und feuern mit einer Panzerfaust auf ein Militärfahrzeug. Dann holen sie den Fahrer aus dem Fahrzeug und verschleppen diesen in den Tunnel. Die Propagandaabteilung der Hamas gab sich größte Mühe, ihre Terroreinheit wie Helden eines Sonderkommandos wirken zu lassen. Das Video war bis vor Kurzem auf dem inzwischen gesperrten Telegram-Kanal der Hamas zu sehen.

Was wie ein schlechter Action-Film wirkt, ist für die israelische Armee eine tödliche Bedrohung. "Sie nutzen die Tunnel, um plötzlich - wie aus dem Nichts - hinter unseren Einheiten aufzutauchen. Deshalb dürfte eine erneute Bodenoffensive ein schwieriger Einsatz werden", warnt Ely Karmon, israelischer Politologe und Analyst des internationalen Instituts für Terrorismusbekämpfung in Herzliya.

Nur Hamas selbst weiß, wie verzweigt das System ist

Nach Einschätzung der israelischen Armee versteckt sich die Hamas-Führung im Untergrund. Die Terrororganisation behauptet, dass einige der entführten Geiseln ebenfalls in den Tunneln festgehalten werden. 2006 verschleppte die Hamas den israelische Soldat Gilad Schalit durch einen solchen Tunnel.

Die Tunnel sind mit Holz oder Steinen ausgebaut, teilweise wird Beton eingesetzt. An manchen Stellen sollen Tunnel für den Schmuggel von Waren unter der Grenze zwischen Gaza und Ägypten so breit sein, dass ein Auto hindurchfahren kann. Militärische Tunnel sind schmaler. Im Schnitt liegen die unterirdischen Gänge sechs Meter unter der Oberfläche.

Nur die radikalislamische Organisation weiß, wie verzweigt und groß das unterirdische System ist. Arye Shalicar, Sprecher der israelischen Armee, sagt, die Tunnel befänden sich unter Moscheen, Schulen, Krankenhäusern und reichen nach Gaza-Stadt, nach Khan Yunis, eine Stadt im Süden des abgeriegelten Küstenstreifens und bis nach Rafah an der Grenze zwischen Gaza und Ägypten. Dort werden sie insbesondere zum Schmuggel von Lebensmitteln, Medikamenten und Waffen eingesetzt.

Nicht nur unter dem Gazastreifen gebe es hunderte Tunnel, so Shalicar. Selbst unter dem Grenzzaun hindurch nach Israel konnte die Hamas in der Vergangenheit Tunnel bauen, um dort anzugreifen.

Karte: Übersicht des Gazastreifens

Experte: Größe nicht überbewerten

Schmugglertunnel gibt es schon seit 2006, nachdem Israel und Ägypten den Zugang zum Gazastreifen zunehmend blockierten. Für Terrorangriffe gebaute Tunnel entdeckte die israelische Armee im Jahr 2014 bei der Militäroperation "Schutzlinie" gegen die Hamas. Damals fanden israelische Soldaten Waffenarsenale im Untergrund und sprengten Tunnel.

Um sich in dieser "Metro", wie die israelische Armee das Tunnelsystem nennt, schnell bewegen zu können, setzte die Hamas Motorräder ein. Auch diese zog das israelische Militär mit Kränen aus den Tunneln.

Harel Chorev, einer der führenden Analysten des Moshe-Dayan-Zentrums in Israel, will die Größe des Systems aber nicht überbewerten. Er glaubt, die Hamas wolle Israel einschüchtern, wenn behauptet wird, es seien 500 Kilometer Tunnel gebaut worden. Aber man wisse, "dass es ein sehr langes und stark verzweigtes System ist".

Wo die Tunnel liegen, ist für die israelische Armee schwer nachzuvollziehen. Weil der Untergrund in Gaza sandig ist, kann die Hamas das System ständig schnell erweitern.

Hindernisse bei der Bodenoffensive

Die israelische Armee bereitet sich schon seit Jahren auf Kämpfe in Tunneln vor. Sie geht laut einem Sprecher davon aus, dass die Hamas versuchen wird, das Vorankommen israelischer Soldaten zu behindern, indem die Terrororganisation Tunnel sprenge, während die Bodentruppen über diesen vorrücken. Die Hamas plane zudem, durch Tunnel hinter die israelischen Linien zu gelangen und Einheiten von hinten anzugreifen. Ein strategisches Dilemma sei zudem, dass die Hamas unter der Erde besonders effektiv Geiseln als Schutzschilde einsetzen könnte.

Im 365 Quadratkilometer großen Gazastreifen leben mehr als zwei Millionen Menschen. Das Gebiet ist eng besiedelt. In manchen Städten und Dörfern sind die Gassen so schmal, dass keine Autos, geschweige denn Militärfahrzeuge, durchkommen. Dort droht der israelischen Armee ein verlustreicher Häuserkampf gegen die Hamas.

Die enge Bebauung des Gazastreifens sei ein großes Hindernis bei einer Bodenoffensive, sagt Stephen Stetter, der an der Bundeswehr-Universität in München zum Nahostkonflikt forscht. Israel werde "Schritt für Schritt" vorgehen, was für einen längeren Zeitraum bei der militärischen Auseinandersetzung spreche.

Auch deshalb setze die militärische Führung derzeit auf flächendeckende Luftangriffe, so Ely Karmon. Deshalb habe man zuvor palästinensische Zivilisten aufgefordert, den Norden des Gazastreifens zu verlassen.

Zeitstrahl: Geschichte der israelisch-palästinensischen Dauerkrise

Im Video: Kanzler Scholz fordert erneut Freilassung der Hamas-Geiseln

Bundeskanzler Scholz im Bundestag
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Dieser Artikel ist erstmals am 19. Oktober 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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