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Gregor Gysi

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Gregor Gysi wird 70

Gregor Gysi wird heute 70 Jahre alt. Der ehemalige DDR-Anwalt und Ex-Chef der Linksfraktion in Bundestag blickt auf ein bewegtes Leben zurück. Jahrelang kokettierte Gysi mit seiner Eitelkeit, doch am Ende wird er demütig. Von Anita Fünffinger

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Gregor Gysi versucht erst gar nicht, seine Eitelkeit zu verstecken, sie zu übertünchen. Gregor Gysi weiß, dass er eitel ist. Die ganze Republik kennt ihn. Und das soll sie auch.

"Wenn der durch `ne Einkaufszeile 200 Meter geht und er wird nicht angesprochen, dann spricht er einen an. Aber ich glaube, das passiert ihm auch nicht: Er schafft keine 20 Meter." Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag

Gysi spricht von „Hass“ in der Fraktion

Dietmar Bartsch ist nach Gregor Gysi Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag geworden, gemeinsam mit Sahra Wagenknecht , die Gysi als Chefin der Bundestagsfraktion eigentlich immer verhindern wollte. Am Ende musste er sich den neuen Mehrheiten geschlagen geben. Gregor Gysi hatte die Fraktion mit Leidenschaft geführt, aber auch mit Frust, Enttäuschung und Grabenkämpfen, wie sie keine andere Partei im Bundestag zu bieten hat:

"In unserer Fraktion im Bundestag herrscht Hass! Und Hass ist nicht zu leiten. Seit Jahren versuche ich, die unterschiedlichen Teile zusammen zu führen, und ich bin es leid!" Gregor Gysi beim Parteitag der Linken 2012 in Göttingen

Großbürgerliches Elternhaus mit jüdischen Vorfahren

Drei Jahre hielt er das noch aus, dann gab er auf. Denn zu streiten, zu diskutieren, eine andere Meinung zu haben – das kannte er aus seinem aufgeschlossenen Elternhaus. Nicht aber Hass und gegenseitiges Fertigmachen. Gysi sagt über sich selbst, es sei gut gewesen, dass in seiner Straße auch Arbeiterkinder wohnten, sonst hätte er geglaubt, alle Eltern seien wie seine. Also aus der Bourgeoisie, die Vorfahren waren Kaufleute, Ärzte, adelig, gebildet, belesen und jüdisch:

"Nach den Nürnberger Gesetzen war meine Mütter Vierteljüdin, weil sie einen jüdischen Großvater hatte und mein Vater Halbjude, so dass wir auf 37,5 Prozent kommen. Das heißt, die Mehrheit ist dann doch arisch in uns." Gregor Gysi

Und dann hat ausgerechnet er in seiner Fraktion Abgeordnete, die einen Schal mit den palästinischen Gebieten tragen, Israel fehlt darauf. Linke, die zum Boykott israelischer Waren aufrufen. Linke, die sich Verschwörungstheoretikern anschließen, die an die jüdische Weltherrschaft glauben. Das war für Gysi oft schwer zu ertragen.

Brillante Rhetorik mit dem Florett

Gysi konnte sich gegen diese extremen Flügel in seiner Partei nur noch rhetorisch wehren. Das aber tat er brillant. Er gilt bis heute als einer der besten Redner im Bundestag. Viele Kollegen erkennen dieses Talent neidlos an:

"Er war einer, der draufhauen konnte, aber nie mit dem Säbel, sondern immer mit dem Florett. Es war immer amüsant, ihm zuzuhören, auch wenn es falsch war." Gerhard Schröder (SPD), Ex-Bundeskanzler

Als Anwalt in der DDR für die Stasi tätig?

Bis heute wird Gregor Gysi den Vorwurf nicht los, er habe als Anwalt in der DDR Mandanten an die Stasi verraten. Förmlich als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) wurde er nie angeworben. Juristisch gilt nach zahlreichen Verfahren für Gysi immer noch die Unschuldsvermutung. Kollegen wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sagen:

"Ja, irgendwas bleibt an der Geschichte dunkel. Aber… so what!" Wolfgang Schäuble (CDU), Bundestagspräsident

Vor lauter Arbeit die Familie vergessen

Gregor Gysi zieht am Ende seiner politischen Laufbahn eine bittere persönliche Bilanz. Er ist zweimal geschieden, seine drei Kinder hat er selten gesehen. Beim Parteitag 2015 in Bielefeld, als er seinen Rückzug als Fraktionsvorsitzender bekannt gibt, bricht ihm die Stimme weg:

"Ich hatte viel zu wenig Zeit für meine Angehörigen. Und das lag nicht an Euch, sondern an mir. Weil ich zu selten Nein sage, mich einfach zu wichtig nahm." Gregor Gysi, 2015

Dafür wolle er sich entschuldigen, sagt Gysi unter Tränen. Der Parteitag klatscht ihm minutenlang Trost.