Vater, Mutter, Kinder: Gegenüber dem tradierten Modell von Familie haben es Freundschaften (rechtlich) schwer.
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Vater, Mutter, Kinder: Gegenüber dem tradierten Modell von Familie haben es Freundschaften (rechtlich) schwer.

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Freundschaft statt Ehe: Formen des Zusammenlebens im Wandel

Statt in einer traditionellen Ehe oder Familie leben Erwachsene oft in Freundschaftsbeziehungen zusammen. Der Staat fördert diese Lebensmodelle bislang kaum. Die Ampel-Koalition will solche "Verantwortungsgemeinschaften" aufwerten.

Über dieses Thema berichtet: Theo.Logik am .

Das Lebensmodell Ehe und Familie dürfte weltweit noch das häufigste sein - aber andere Formen des Zusammenlebens sind in vielen Ländern schon lange auf dem Vormarsch, etwa die "Ehe ohne Trauschein". Nun gewinnt das Konzept der "Chosen Family" (auf deutsch etwa: "gewählte Familie") in Deutschland an Bedeutung: Statt in einer Ehe leben Erwachsene mit Freunden oder in Berufs-WGs zusammen.

Philosoph: Staatliche Gesetze schätzen Freundschaften gering

Der französische Philosoph Geoffroy de Lagasnerie hat kürzlich ein Buch über den Stellenwert und die Bedeutung von Freundschaftsbeziehungen vorgelegt. "Trois", also "drei", lautet der Titel, der sich mit autobiografischen Anklängen auf den Autor selbst und seine zwei besten Freunde bezieht. "Seit zehn Jahren sind wir fast täglich in Kontakt, auch wenn wir uns nicht jeden Tag sehen. Wir machen gemeinsam Urlaub und feiern zusammen Weihnachten", sagt Lagasnerie im Interview mit seinem Verlag.

Allerdings, so die Kritik des französischen Intellektuellen, leben wir in Staaten, die die Familie zum Zentrum der Gesellschaft erkoren hätten. Freundschaften würden in jeder Hinsicht vernachlässigt. Ganz deutlich zeige sich das auf der Ebene der Alltags-Organisation und der Gesetzgebung: "Wenn ein Freund krank ist, kann ich ihn im Krankenhaus nicht besuchen, wenn seine Familie es ablehnt."

Freundschaft als "prekäre Lebensform"

Solche Situationen sagen viel über unsere Gesellschaft aus. "Wenn ich sage: 'Ich kann nicht ins Büro kommen, weil mein Sohn krank ist' - da hat jeder Verständnis. Wenn ich sage: 'Ich kann nicht kommen, weil mein bester Freund krank ist', wird jeder sagen: Ja, ja, träum weiter." Das mache die Freundschaft zu einer "prekären Lebensform", insofern das Verhältnis zu Freunden auf keine Weise gefördert oder erleichtert werde.

Tatsächlich gibt es auch in Deutschland kein einziges Gesetz, das Freunden Vorteile einräumt. Die Landshuter Anwältin Anne Kirchner verweist etwa auf das Erbrecht: "Man muss dabei beachten, dass ein Freund nur dann als Erbe eingesetzt werden kann, wenn man eine Verfügung von Todes wegen erstellt." Zum Beispiel in Form eines Testaments oder eines Erbvertrages, da die gesetzliche Erbfolge nur Familienangehörige berücksichtigt.

Erblicher Freibetrag bei Freunden deutlich kleiner als bei Ehegatten

"Das heißt, es ist zwingend notwendig, dass ich das schriftlich verfasse", erklärt Kirchner. "Was man dabei berücksichtigen muss, ist auch, dass der steuerliche Freibetrag sehr unterschiedlich ausfällt, also wenn ich einem Ehegatten was vererbe, liegt der steuerliche Freibetrag bei 500.000 Euro und bei einem Freund oder Lebensgefährten nur bei 20.000 Euro."

Auch das gemeinsame Abschließen eines Mietvertrags oder einer Versicherung sei für Freunde normalerweise möglich, betont Anne Kirchner. Allerdings: Steuerliche Erleichterungen gibt es unter keinen Umständen, und Verantwortung dürfen Freunde auch nur füreinander übernehmen, wenn sie sich dazu explizit eine Vollmacht ausstellen.

Ampel-Koalition spricht von "Verantwortungsgmeinschaft"

Nach Wunsch der Ampel-Regierung soll das aber nicht so bleiben. Um freundschaftliche Beziehungen aufzuwerten und den "Veränderungen der gesellschaftlichen Realität" gerecht zu werden, soll zukünftig eine "Verantwortungsgemeinschaft" eingeführt werden – das zumindest ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben.

Alte Menschen lebten heute oft in Wohngemeinschaften, alleinstehende Geschwister oder Freunde täten sich oft zusammen, für sie stellten sich rechtliche Alltagsprobleme, etwa, wenn es um die ärztliche Auskunft oder die gemeinsame Wohnung gehe. Diese für viele unbefriedigende Situation soll ein noch ausstehendes neues Gesetz unter der Ägide von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) aufgreifen und verbessern.

Justizministerium: "Vorteile der Ehe werden bleiben"

Die Idee an sich gibt es in Deutschland eigentlich schon, sagt Rechtsanwältin Anne Kirchner. Aber gewissermaßen im negativen Sinne: "Wenn man Arbeitslosengeld 2 oder Bürgergeld beantragt, dann unterstellt der Sozialhilfeträger, wenn ein Paar zum Beispiel länger als ein Jahr zusammenlebt, dass sie füreinander Verantwortung übernehmen wollen und füreinander einstehen wollen, was dann zur Folge hat, dass das Einkommen beider Partner bei der Berechnung der Leistung berücksichtigt wird."

Diese Regelung gebe es auch, um die Ehe nicht schlechter zu stellen, erklärt die Anwältin. Welche Vorteile dann konkret die geplante neue Verantwortungsgemeinschaft haben wird, dazu äußert sich das Justizministerium noch nicht – dort heißt es nur: "Die Vorteile der Ehe im Vergleich zu anderen Formen des Zusammenlebens werden bleiben."

Dieser Artikel ist erstmals am 29. Juli 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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