Alten Menschen müsse man das Risiko einer Infektion mit dem Erreger Sars-CoV-2 so erklären, dass sie es auch wirklich begreifen - diese Meinung vertritt eine Münchner Ärztin auf ihrem privaten Twitteraccount. Sie denkt dabei an Senioren wie ihre 78-jährige Mutter und gibt folgendes Beispiel für eine Erklärung: "Wenn Du mit zehn Freundinnen ins Gasthaus gehst, dann werden fünf so gut wie sicher infiziert. Von diesen fünf wird eine sterben." Das ist eindringlich. Aber stimmt es?
- Dieser Artikel stammt vom 13.03.2020. Alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier
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"Das ist eine Zuspitzung – ganz klar"
Diese Rechnung darf man nicht so verstehen, dass immer dann, wenn sich zehn treffen, eine oder einer davon bald nicht mehr sein wird. "Dass das eine Zuspitzung ist, der keine konkrete oder empirisch nachweisbare Wahrscheinlichkeitsverteilung zugrunde liegt – völlig klar", gesteht die Ärztin auf Nachfrage von BR24 zu, "nur versteht meine 80-jährige Schwiegermutter leider nichts von Wahrscheinlichkeitsverteilungen. Und viele andere womöglich auch nicht."
Über 80-Jährige besonders gefährdet
Richtig ist, dass alte Menschen besonders gefährdet sind. Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité sagte in einem NDR-Podcast, dass nach einer umfassenden Datenanalyse aus mehreren Ländern bei den 60- bis 70-Jährigen etwa drei Prozent aller mit Sars-CoV-2 Infizierten sterben. Bei den 70- bis 80-Jährigen seien es etwa sieben bis acht Prozent. Bei den über 80-Jährigen seien es sogar etwa 20 bis 25 Prozent. Jede Familie solle sich deshalb vor allem um ihre älteren Mitglieder Gedanken machen. In Deutschland sind bisher acht Menschen an einer Infektion mit dem Coronavirus gestorben. Sie waren zwischen 67 und 89 Jahren alt.
Ein bis zwei Meter Abstand schützen vor Infektion
Fälle, bei denen Personengruppen in ein Gasthaus gegangen und 50 Prozent davon infiziert wieder hinausgegangen sind, sind nicht bekannt. Ein Abstand von ein bis zwei Metern zu einem Erkrankten schützt laut Robert-Koch-Institut vor einer Ansteckung. Dennoch ist das Szenario in dem Post nach Ansicht der Verfasserin nicht aus der Luft gegriffen. "Wie Sie wissen, haben sich zahlreiche Besucher ein und desselben Nachtclubs in Berlin auf ein und derselben Party infiziert", schreibt die Medizinerin, die als Notärztin am Flughafen München arbeitet und eine Praxis für ästhetische Medizin betreibt, in ihrer Mail an BR24.
Tatsächlich gibt es bei Berliner Clubs eine Häufung von Infektionen. 17 Personen, die in einer Nacht in einem bestimmten Club waren (Club Trompete) haben sich infiziert. Bei einem anderen Berliner Club sind es neun, die in einer Nacht zusammen gefeiert haben. "Viele Leute auf engem Raum, stickigen Raum, sehr enge soziale Kontakte – da kann sich jeder ausrechnen, wo es ein Problem wird“, sagte der Amtsarzt von Reinickendorf. Wie der rbb berichtet, ist es allerdings nicht definitiv nachgewiesen, dass sich die Menschen im Club ansteckten, theoretisch könnte es auch woanders gewesen sein. Ob sich eine Gaststätte, die von Senioren besucht wird, mit einem Berliner Club vergleichen lässt? Die Urheberin des Posts nennt die das Wort "Gaststätte" eine "Metapher".
Anliegen: Hauptrisikogruppe überzeugen
Die Ärztin erklärt das Anliegen hinter ihrem Rechenbeispiel. "Was gemeint war, kam im Text und früheren Tweets von mir klar zum Ausdruck: Wie überzeugt man die Hauptrisikogruppe davon, dass für sie tatsächlich ein substanzielles Risiko besteht – und keines von irgendwelchen Nullkommairgendwas Prozent, wie sie es im Radio oder im Fernsehen vielleicht gehört haben." Alte Menschen würden ihrer persönlichen Erfahrung nach ihr Risiko "teilweise massiv" unterschätzen.
Fazit:
Für Menschen über 80 Jahre ist eine Infektion mit dem Virus Sars-CoV-2 besonders gefährlich. Nach Expertenauskunft kann die Sterblichkeit nach aktuellem Wissensstand 20 bis 25 Prozent betragen. Insofern stimmt die Annahme in dem Twitter-Post einer Münchner Ärztin, dass von fünf infizierten Alten eine Person das statistisch nicht überleben wird. Das hohe Ansteckungsrisiko, dort wo viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen, besteht. Es wird in dem Post aber überzeichnet. Die Zuspitzung entstand in der Absicht, Senioren ihre Lage plakativ begreiflich zu machen.
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