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Symbolbild: 121. Deutscher Ärztetag

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Ärztetag in Erfurt im Zeichen großer Debatten

Ärztetag in Erfurt im Zeichen großer Debatten

Wie lassen sich die Behandlung von Kranken und auch die Arbeitsbedingungen von Ärzten in Deutschland verbessern? Darüber haben die Spitzenverbände der deutschen Ärzteschaft in Erfurt beraten. Eins ist dabei klar geworden: Vieles muss sich ändern.

Durch alle Debatten beim Deutschen Ärztetag in Erfurt zog sich ein Leit-Thema: Lösungen, die vor 20 oder 30 Jahren noch funktioniert haben, müssen zum Teil deutlich verändert werden.

Ärzte mit eigener Praxis sollen mehr Sprechzeiten anbieten – so steht es im Koalitionsvertrag. Der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, schüttelt darüber allerdings nur den Kopf. Wenn es mitunter zu lange Wartezeiten gebe, dann liegt ein Grund dafür seiner Ansicht nach darin, dass Patienten in Deutschland zu wenig gesteuert werden.

"Wenn jeder, der ein bisschen Brustschmerz hat, denkt, es könnte das Herz sein, oder wenn Tante Emma das gesagt hat: Wenn die alle zum Kardiologen und sich dann in 70 oder 80 Prozent der Fälle herausstellt, dass es gar nichts mit dem Herzen ist, dann haben die Leute diese Termine blockiert, die dann für die Herzkranken fehlen", sagt Weigeldt.

KBV-Chef: Mehr Praxiszeiten nur bei mehr Honorar

Der Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, stellt fest: Wenn Ärzte tatsächlich fünf Stunden mehr Praxiszeiten anbieten sollen, dann müssten sie auch mehr Honorar bekommen. "Wenn wir dann nicht entsprechende Nachbesserung bekommen, dann sehe ich nicht, wie wir überhaupt noch eine Stunde mehr ärztliche Arbeit auf die Straße kommen soll", sagte Gassen.

In der Ablehnung einer politisch vorgeschriebenen Mehrarbeit sind sich die Ärzteverbände einig – anders sieht das bei der Frage aus, wie Mediziner, die aus Ländern außerhalb der Europäischen Union nach Deutschland kommen, ihre Qualifikation nachweisen sollen.

Debatte um Ärzte aus Drittstaaten

Ein großer Teil der Ärztetags-Delegierten fordert, dass Ärzte, die etwa in Russland oder Syrien studiert haben, in Deutschland erneut eine Prüfung ablehnen müssen, die dem deutschen Staatsexamen entspricht. Die Präsidentin der niedersächsischen Landesärztekammer, Martina Wenker, hört immer wieder von Fällen, in denen es Zweifel gibt, ob Zuwanderer tatsächlich eine medizinische Qualifikation haben, die deutschen Standards entspricht. "Da muss ich aktiv werden und das ist die Aufgabe von uns Kammern", so Wenker.

Der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke, sieht das anders. Seiner Ansicht nach würde es genügen, die Prüfung vorgelegter Zeugnisse zu verbessern. Zuwanderer aus sogenannten Drittstaaten, die in Deutschland als Arzt arbeiten wollen, samt und sonders zu Examens-Kandidaten zu machen, hält er für übertrieben.

"Wenn wir uns unter Globalisierung vorstellen, dass jeder, der in anderes Land geht, dort noch einmal die kompletten Examina ablegen muss, dann können wir den internationalen Austausch in den Berufen völlig vergessen", erklärte Henke.

Beratung per Videoschalte: Soll das Fernbehandlungsverbot gelockert werden?

Ebenfalls recht unterschiedliche Einschätzungen gibt es in den Ärzteverbänden bei der Frage, ob Mediziner künftig komplett per Videoschalte oder Telefon Patienten behandeln dürfen, die sie vorher nie gesehen haben. Die Ärztekammern in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein haben damit bereits Erfahrungen in Pilotprojekten gesammelt. Der schleswig-holsteinische Kammerpräsident Franz Joseph Bartmann hält eine Lockerung des sogenannten Fernbehandlungsverbots im ärztlichen Berufsrecht einerseits für unausweichlich – andererseits warnt er davor, das Thema überzubewerten.

"Dieser Paragraph hat einen sehr hohen Symbolwert, der in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, als ob demnächst sich die Sprechstunde ins Netz oder ins Telefon verlagern würde", sagte Bartmann. "Und das ist eine totale Fehlwahrnehmung."

Weitgehend einig sind sich die Spitzenvertreter der Ärzteschaft beim Thema psychische Erkrankungen.

Weil sie immer mehr Patienten betreffen, müsse die Politik – aber auch die ärztliche Berufspolitik – noch mehr tun, um die Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern.

(Von Nikolaus Nützel)