An einem Tisch hinter Akten sitzen von Links, der Anwalt von Frau Schedel-Lippl Oliver Negele,  Stefan Lippl und Irmgard Schedel-Lippl
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Ein Kind wird in einer Klinik verletzt, noch Jahrzehnte später kämpft eine Mutter mit der Versicherung

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Unfall in Klinik: Mutter streitet 30 Jahre lang mit Versicherung

Bei einem Unfall kurz nach seiner Geburt in der Klinik in Krumbach wird ein Säugling im Jahr 1990 schwer verletzt. Noch heute, als Erwachsener, leidet er an den Folgen. Die Mutter pflegt ihren Sohn und kämpft für ihn: vor allem mit der Versicherung.

Wenn Irmgard Schedel-Lippl das Familienalbum aufklappt, kommen die Erinnerungen wieder hoch. An die Geburt ihres Sohnes und das, was nur wenige Stunden später in einem Krankenhaus im Landkreis Günzburg passiert. Als eine Krankenschwester den kleinen Stefan am nächsten Morgen an ihr Bett bringt, merkt die Mutter, dass etwas nicht stimmt: "Er hatte die Arme gebeugt, Fäuste gemacht und den Kopf auf eine Seite gedreht", erzählt Irmgard Schedel-Lippl. Das Kind sei noch im Geburtsstress, versichert die Krankenschwester. Doch Ärzte werden später eine ganz andere Diagnose stellen.

Operation nach Bruch am Schädelknochen

Der Schädelknochen des Babys ist gebrochen. Was damals genau passierte, lässt sich schwer nachvollziehen. Wahrscheinlich wurde das Kind vom Klinikpersonal fallengelassen. Stefan wird am Kopf operiert, eine kreisrunde Narbe ist noch immer zwischen den Haaren zu sehen. Auch 30 Jahre später hat er mit den Folgen des Unfalls zu kämpfen, Stefan ist geistig und körperlich schwer gehandicapt. Die Klinik bestreitet zunächst die Schuld. "Sie sagten, das sei ein Geburtsfehler", so Schedel-Lippl. Das Landgericht Memmingen verurteilt die Beklagten jedoch Mitte der 90er Jahre, "(…) sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen, die entstanden sind und noch entstehen werden." Die Mutter dachte, damit sei der Fall geklärt.

Streit mit Versicherung über Therapiekosten

"Aber Sachbearbeiter wechseln und sie haben teilweise Therapieleistungen gestrichen, die früher schon mal genehmigt waren", sagt Schedel-Lippl. Sie ärgert sich, dass sie vieles aus eigener Tasche zahlen muss. Etwa Massagen, um Stefans verkrampfte Haltung zu lockern. Die Versicherung hingegen betont, dass nur "medizinisch angezeigte und kassenärztlich verordnete Therapien übernommen werden." Nach eigener Aussage hat die Balzhauserin schon eine Eigentumswohnung verkauft, um die Ausgaben zu decken. Doch noch ein anderes Problem bedrückt sie.

Versicherung befürwortet Besuch einer Förderstätte

"Ich bin jetzt über 60 und kann meinen Sohn irgendwann nicht mehr versorgen", sagt Schedel-Lippl. Eine Alternative wäre ein Heim. Stefan war in der Vergangenheit schon zweimal in einer Fördereinrichtung, zunächst längere Zeit stationär. "Es gab in der Wohngruppe aber immer wieder Auseinandersetzungen und Prügeleien, die auch die Betreuer nicht unterbinden konnten", sagt die Mutter. Ihr Sohn habe blaue Flecken gehabt und sei stark eingeschüchtert gewesen. Die Versicherungskammer Bayern hingegen hätte es gerne gesehen, wenn Stefan weiterhin eine ähnliche Förderstätte besucht hätte, mit dem Ziel: "…lebenspraktische und soziale Fähigkeiten zu erhalten und möglichst zu verbessern."

Häusliche Pflege weitaus teurer

Doch durch eine Spastik könne ihr Sohn nicht längere Zeit stehen oder mit der rechten Hand etwas greifen, erklärt die Mutter. Die Mitarbeit in einer Werkstätte falle ihm deshalb schwer, auch habe Stefan seine Emotionen oft nicht unter Kontrolle: "Da kam von der Einrichtung schon mal der Anruf, ich solle ihn doch bitte abholen", sagt Schedel-Lippl. Sie wäre froh gewesen, wenn es zumindest tagsüber für ein paar Stunden mit der Förderstätte geklappt hätte, das hätte ihren Arbeitsalltag erheblich entlastet. Denn Stefan braucht rund um die Uhr Assistenz und Betreuung. Er selbst sagt, dass es ihm zuhause "viel besser gefalle". Doch hat Stefan darauf einen Anspruch, wenn die Mutter die Pflege nicht mehr leisten kann? Die Pflegekosten zuhause wären monatlich um mehrere Tausend Euros teurer.

Anwalt kritisiert Verhalten der Versicherungskammer Bayern

"Im deutschen Schadensersatzrecht muss der Schädiger den Zustand wiederherstellen, der ohne den Unfall bestehen würde", sagt Rechtsanwalt Oliver Negele, der sich auch auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs beruft: "Keiner kann gegen seinen Willen gezwungen werden, in ein Heim zu ziehen". Aus seiner Sicht wolle die Versicherungskammer Bayern, wie andere Versicherungen grundsätzlich auch, schlicht Geld sparen. Die Versicherungskammer Bayern dagegen stützt sich auf Pflegegutachten und betont, dass es auch in ihrem Interesse sei "…zu jedem Zeitpunkt jegliche sinnvollen und erforderlichen Maßnahmen zur Pflege und Unterbringung zu erstatten." Sie hat zuletzt vorgeschlagen, die Pflegerente von Stefan um den Betrag aufstocken, der zuvor an die Förderstätte floss.

Mutter will keinen weiteren jahrelangen Gerichtsprozess

Doch selbst diese Summe würde kaum ausreichen, um Stefan zuhause zu versorgen. Irmgard Schedel-Lippl hat sich ein Angebot zuschicken lassen, das 28 Stunden Pflege pro Woche abdecken würde. Die restliche Zeit müsse sie weiter für ihnen Sohn da sein. "Ich bin einfach am Ende, ich kann nicht mehr", sagt sie. Die Mutter würde sich wünschen, nicht mehr den ganzen Tag für ihren Sohn da sein zu müssen. Zumal sich der Rechtsstreit inzwischen über dreißig Jahre zieht und Dutzende Aktenordner füllt. Das letzte juristische Verfahren endete mit einem Vergleich, einen weiteren Prozess möchte Schedel-Lippl gerne verhindern: "Das würde wahrscheinlich wieder Jahre dauern, dann bin ich bald reif für die Kiste."

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