Der zuständige Gauvorstand, Michael Hauser.  Er trägt Trachtenhut, sitzt an einem Tisch und hält ein aufgeklapptes Buch in den Händen.
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Der zuständige Gauvorstand, Michael Hauser, kann die Entscheidung der Familie zwar nachvollziehen. Sagt aber: "Das ist die Regelung".

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Trachtenvereine: Langhaarige unerwünscht?

Familie Heigermoser ist geschlossen aus dem Trostberger Trachtenverein ausgetreten. Die langen Haare der Söhne wurden nicht akzeptiert. Doch müssen die Haare zur Lederhose wirklich kurz sein?

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Simmerl Heigermoser schaut konzentriert zu seinem großen Bruder Done, als er den "Heisei", einen Chiemgauer Plattler, vormachen soll. Die meisten Schritte klappen schon gut im Takt, auch ohne die Hilfe des Bruders. Der fünfjährige Simmerl mit den langen blonden Haaren und dem lila Pumuckl T-Shirt hat sichtlich Spaß am Plattln. Doch zur Trachtenprobe geht er nicht mehr. Die ganze Familie Heigermoser ist aus dem Trostberger Trachtenverein ausgetreten: Die langen Haare der Söhne wurden nicht akzeptiert.

Trachtenverband: Punktabzug für lange Haare

Kurze Haare bei Männern und Buben sind laut Bayerischem Trachtenverband zwar kein Muss für die Mitgliedschaft im Trachtenverein. Doch bei Festzügen in Vereinstracht sollten die Haare kurz sein, genauso wie beim Preisplattln - sonst gibt es Punktabzug. Evi Heigermoser kann das nicht verstehen. "Ich finde das nicht mehr zeitgemäß, auf den kurzen Haaren zu bestehen, wenn sogar Polizei und Bundeswehr das mittlerweile erlauben."

"Lange Haare gehören sich nicht"

Die Heigermosers sind eigentlich eine richtige Trachtlerfamilie: Alle sechs waren im Trachtenverein, Vater Markus hat die Webseite betreut und war Jugendleiter. Die Entscheidung, auszutreten, ist ihnen nicht leichtgefallen, erzählen sie. Doch irgendwann wurden ihnen die Zurechtweisungen anderer Vereinsmitglieder zu viel. Immer wieder wurde ihnen gesagt, dass sich die langen Haare nicht gehörten und nicht gut aussähen. Ihre Versuche, mit den Kritikern ins Gespräch zu kommen, seien gescheitert. "Es hieß immer nur, das macht man nicht. Aber wir wollen unsere Kinder offen erziehen", sagt Evi Heigermoser. "Ich will ihnen nicht vermitteln, dass sie wegen ihres Aussehens nicht richtig sind."

Gauvorsitzender: Regel nicht ausgrenzend

Der Trostberger Trachtenverein will zu dem Fall keine Stellung beziehen. Der zuständige Gauvorstand, Michael Hauser, kann die Entscheidung der Familie zwar nachvollziehen. Auseinandersetzungen um lange Haare gäbe es in den Jugendgruppen der bayerischen Trachtenvereine immer wieder. Die langhaarigen Buben dürften natürlich weiter mitmachen, doch den Punktabzug beim Preisplattln müssten sie akzeptieren. "Das ist einfach eine Regel bei uns. Die ist auch nicht ausgrenzend, denn die Regel ist vorher bekannt und wer sich nicht daranhält, grenzt sich selbst aus."

Trachtenvereine wollen Original erhalten

Um zu illustrieren, wie wichtig diese Regel ist, hat Michael Hauser die aktuelle Gauchronik mitgebracht. In dem dicken Buch sind alle Vereinstrachten von Ost-Oberbayern aufgelistet. Bei der Gründung der Vereine habe man sich darauf geeinigt, dass diese Trachten das Original sind, das es zu bewahren gilt. In dem Buch haben alle Männer kurze Haare.

Gerade dadurch, dass die Trachtenvereine so streng sind mit ihrer Frisuren- und Kleiderordnung, so sieht es Michael Hauser, könne sich die Tracht weiterentwickeln. Denn er habe nichts dagegen, dass auf Volksfesten in ganz Bayern junge Burschen weiße Turnschuhe zu Lederhosen und Karohemd tragen. Doch damit die Tracht überhaupt weiterentwickelt werden könne, so Michael Hauser, braucht es die Trachtenvereine als Vorbild.

Trachtenexperte: Originaltracht gibt es nicht

Alexander Wandinger kann diese Argumentation nicht ganz nachvollziehen. Der Trachtenexperte hat für den Bezirk Oberbayern eine umfangreiche Trachtensammlung aus verschiedenen Jahrhunderten aufgebaut. "Die echte, richtige Tracht gibt es nicht", findet Wandinger. "Tracht ist immer Mode aus einer bestimmten Zeit und gesellschaftlichen Schicht."

Das Gewand der Trachtenvereine entspricht der Mode ihrer Gründungszeit, also Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals waren die Haare der Herren kurz. Anders als im 18. Jahrhundert, da wären Männer mit kurzen Haaren komisch angeschaut worden. "Das Normale ist eigentlich der Wandel", so Alexander Wandinger. "Die Vereine halten aber an einer Tracht fest, die einfach einmal als echt erklärt worden ist. Sie versuchen etwas festzuhalten, was eigentlich Mode, also Veränderung ist."

Problematisch, wenn Regeln moralisch aufgeladen werden?

Es sei klar, dass man als Verein Regeln für die Vereinskleidung aufstelle, sagt der Trachtenexperte. Und die Vereine förderten die Tracht ja auch seit Jahrzehnten. Allerdings werde es problematisch, wenn die Regeln moralisch aufgeladen werden, findet Alexander Wandinger. Wenn es also heißt, dass sich lange Haare bei Männern nicht gehörten. Diese Vorstellung habe man oft unbewusst aus den Anfangsjahren der Trachtenbewegung übernommen, also aus den 1920er und sogar Dreißigerjahren. Als es genaue Vorstellungen von "sauberen Buben und Dirndln" gegeben habe.

"Meine Haare schneide ich mir nicht ab"

Familie Heigermoser aus Trostberg kann nicht verstehen, warum die Trachtenvereine derart auf den Haarmoden der Kaiserzeit beharren. Der 15-jährige Done kann inzwischen sowieso platteln und freut sich über die zusätzliche Zeit für sein großes Hobby Eishockey. Auch Vater Markus Heigermoser will weiter Tracht tragen und die Ziach, die Ziehharmonika, spielen. Doch für den kleinen Simmerl sei es wirklich schade. Der vermisst den Trachtenverein, doch er sagt selbst: "Meine Haare schneide ich mir nicht ab."

Dieser Artikel ist erstmals am 6. April 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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