Bei dem Zugunfall bei Reichersthausen haben sind letze Woche ein ICE und ein Regionalzug seitlich kollidiert.
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Bei dem Zugunfall bei Reichersthausen haben sind letze Woche ein ICE und ein Regionalzug seitlich kollidiert.

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Das könnte zum Zugunfall in Reichertshausen beigetragen haben

Nach dem Zugunfall in Reichertshausen steht die Frage im Raum: Zwei Züge streifen sich - wie kann das passieren? Ein Fahrgast berichtet vom Moment des Unfalls - und Experten haben erste Vermutungen zur Unfallursache.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Experten der Bahn und der Bundespolizei suchen derzeit nach den Ursachen für den Zugunfall von Reichertshausen. Vergangene Woche waren im Bahnhof ein Regionalzug und ein ICE seitlich zusammengestoßen. Sieben Menschen wurden leicht verletzt, rund 700 Reisende saßen in den Zügen. War es ein technischer Defekt? Oder hat ein menschlicher Fehler den Unfall verursacht? Das ist bisher unklar. Die Bundespolizei ermittelt wegen Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr.

Augenzeuge berichtet vom Unfall

Viktor Veress saß am vergangenen Freitag in dem Regionalzug. Er war auf dem Weg von Pfaffenhofen an der Ilm nach München zu seiner Arbeit beim Bayerischen Rundfunk. Er habe sich im zweiten Waggon befunden, als die Regionalbahn bei der Einfahrt in den Bahnhof Reichertshausen stark abgebremst habe, so Veress. Der Zug sei erst deutlich nach dem Ende des Bahnsteigs zum Stehen gekommen.

Daraufhin habe er sich gewundert, warum er beim Blick aus dem Fenster nicht den Bahnsteig, sondern plötzlich die Signalanlage erkennen konnte, schildert Veress. "Und dann habe ich hinter mir schon das Pfeifen vom ICE auf dem Überholgleis neben uns gehört." In dem Moment sei ihm - weil er sich mit der Bahn gut auskenne - klar geworden: Der Zug steht in der Weiche. Dann habe "der ICE als Notsignal gepfiffen und ist an uns vorbeigerauscht", erinnert sich Veress. Der Zug habe mehrfach gewackelt.

Die Bundespolizei bestätigte dem Bayerischen Rundfunk, dass der ICE und die Regionalbahn am Bahnhof Reichertshausen an einer Weiche zusammengestoßen sind.

Vermutung: Sand könnte Kontakt zu Schiene unterbrochen haben

Mehrere Bahnexperten haben gegenüber dem BR den Verdacht geäußert, dass der Lokführer des Regionalzugs vor dem Zusammenstoß mit dem ICE eine Schnellbremsung ausgeführt haben könnte. Bei so einer Schnellbremsung kann der Lokführer am Triebzug per Tastendruck zusätzlich Sand auf die Schienen streuen lassen, um die Reibung zu erhöhen und den Bremsweg zu verkürzen. Und genau das könnte zum Unfall beigetragen haben.

Ein anderer Lokführer, der seit 30 Jahren bei der Deutschen Bahn arbeitet, aber am Unfall nicht beteiligt war und anonym bleiben will, erklärte im Gespräch mit dem BR dazu: Wenn das Triebfahrzeug auf Sand stehe, könne der elektrische Kontakt zur Schiene unterbrochen sein. Dadurch erkenne die sogenannte Gleisfreimeldeanlage das Fahrzeug unter Umständen nicht mehr und melde das Gleis fälschlicherweise als frei. Das sei eine Sicherheitslücke, die schon seit Jahren bekannt sei, so der unbeteiligte Lokführer.

Die Deutsche Bahn äußerte sich auf BR-Nachfrage weder zur Schnellbremsung auf Sand im Allgemeinen noch zur Vermutung der Experten im Konkreten und verwies auf laufende Ermittlungen.

Veraltete Stellwerke ausschlaggebend?

Auch Markus Hecht, Experte für Schienenfahrzeuge von der TU Berlin, hält das Szenario für realistisch. Es sei möglich, dass die veralteten Stellwerke aus den 1960er-Jahren mit Technik aus den 1920er-Jahren ein Grund für den Unfall waren. "Es muss ein signaltechnischer Fehler gewesen sein. Es kann gut sein, dass durch den Sand das Fahrzeug isoliert auf der Schiene stand und vom Stellwerk nicht mehr erkannt wurde. Bei einer modernen Signaltechnik, also mit dem europäischen Zugsicherungssystem ETCS, wäre das so nicht möglich gewesen, weil das auf einer sicheren Funkverbindung basiert."

Laut Hecht liegt Bayern und ganz Deutschland in Bezug auf diese Signaltechnik gesamteuropäisch gesehen weit zurück. Das europäische Zugsicherungssystem sei nur in einem kleinen Teil des deutschen Streckennetzes verbaut. An anderen Stellen gebe es immer noch Stellwerke, die auf der Technik von vor 100 Jahren basierten.

Ermittlungen dauern an

Die beiden Lokführer und ein Fahrdienstleiter sollen in den kommenden Tagen und Wochen vernommen werden, wie eine Sprecherin der zuständigen Bundespolizeiinspektion in Nürnberg am Montag sagte. Experten der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung seien bereits am Freitag an der Unfallstelle gewesen und in die Ermittlungen eingebunden. Sie würden nun einen Bericht erstellen, so die Sprecherin - doch das werde noch geraume Zeit in Anspruch nehmen.

Im Video: Einsatzkräfte helfen den Fahrgästen beim Verlassen der Züge

Einsatzkräfte halfen den Fahrgästen beim Verlassen der Züge
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