Ein schmales Bett, ein kleiner Tisch – dahinter das Fenster, aus dem Angelika gerade raucht. Seit gut drei Monaten wohnt die 62-Jährige jetzt im Münchner Frauenobdachlosenheim Karla 51. Doch vorher war es schwer:
"Ich konnte nicht gleich einziehen, weil keine Zimmer frei waren, und ich musste für zwei Wochen in die Notübernachtung. Da muss man morgens raus und darf erst abends wieder rein. Das war die schlimmste Zeit für mich, ich hab am Tag auf der Straße gelebt. Ich finde, das habe ich nicht verdient, ich habe doch immer gearbeitet." Angelika
Filialleiterin eines Supermarkts war Angelika. Auch wenn die letzten Monate sichtlich ihre Spuren hinterlassen haben, kann man sie sich mit ihrer offenen Art gut in so einem Job vorstellen. Als sie nach einigen Jahren im Ausland zurückgekommen ist, haben die Freunde, die ihr bei ihrer Rückkehr helfen wollten, einen Rückzieher gemacht. Plötzlich stand sie auf der Straße. Das Obdachlosenheim war ihre Rettung.
Zahl der Obdachlosen verdreifacht
Immer mehr Menschen werden - so wie Angelika - obdachlos. Das merken die Sozialarbeiter von Karla 51 deutlich:
"Leider ist es immer häufiger so, dass wir Frauen wegschicken müssen. Das ist ein ganz neues und schreckliches Arbeiten, und wir leiden sehr darunter. Eigentlich darf das in München doch nicht wahr sein!" Isabel Schmidhuber, Leiterin der Einrichtung Karla 51
Seit 2008 hat sich in München die Zahl der Wohnungslosen verdreifacht: Mittlerweile haben über 8.000 Münchner kein eigenes Dach mehr über dem Kopf. Im Sozialreferat macht man zwei Ursachen aus. Erstens: der Zuzug – pro Jahr zieht eine Anzahl von Menschen in der Größenordnung einer Kleinstadt neu nach München, an die 25.000. Keine andere bayerische Stadt muss solche Zahlen bewältigen. Und zweitens: Die Flüchtlingswelle hat die Problematik zusätzlich verschärft.
Obdachlosigkeit dauert länger
Das Klischee von einer verlotterten, gescheiterten Person, die nicht arbeiten will und sich deshalb keine Wohnung leisten kann, ist überholt.
"Da gibt es nichts, was es nicht gibt an Lebensschicksalen. Das sind mittlerweile ganz normale Menschen mit mittleren Einkommen, die bedroht sind. Wohnen ist richtig teuer und auch für die, die sich das leisten können, wird es zunehmend zu einem Problem." Rudolf Stummvoll, Leiter des Amts für Wohnen und Migration
Und noch eine neue Erfahrung gibt es: Wenn Menschen wohnungslos werden, bleiben sie es immer länger.
"Früher war der Plan, Wohnungslosigkeit innerhalb eines Jahres zu beenden. Wir wissen, dass das nicht klappt. Also versuchen wir, die Plätze ertragbarer zu gestalten bis eine dauerhaft Wohnung möglich ist." Rudolf Stummvoll
Notquartiere werden aufgestockt
Mehr als 20 Millionen Euro pro Jahr wird die Stadt investieren, um mehr Plätze in Notquartieren zu schaffen und das Hilfsangebot auszubauen:
Auch das Frauenobdachlosenheim Karla 51 wird im kommenden Jahr um 15 Plätze auf insgesamt 55 erweitert. Angelika hofft, dass sie bis dahin kein Zimmer mehr hier beanspruchen muss:
"Mein größter Wunsche ist, eine Wohnung zu haben, wo es einen Neuanfang gibt. Manchmal denke ich, für was bist du da? Bist ja für nichts gut!" Angelika