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Laktosefrei, glutenfrei und Co. Frei-Von-Produkte boomen

Immer mehr Hersteller setzen auf einschlägige Bezeichnungen auf ihren Produkten – weil es sich gut verkauft. Vor allem auch an Menschen, die annehmen, dass die Produkte gesünder sind. Dabei sind sie für Käuferinnen und Käufer ohne Unverträglichkeit vor allem oft eines: teurer.

Von: Sabine Pusch

Stand: 17.09.2023

Ein Einkauf dauert bei Familie Knoblich meist länger als bei anderen Menschen. Jedes verarbeitete Produkt muss auf Inhaltsstoffe gecheckt werden. Denn: Katharina hat Zöliakie und muss auf Gluten verzichten – genau wie ihre beiden Kinder.

Bei Betroffenen führt das in verschiedenen Getreidesorten enthaltende Klebeeiweiß zu einer Entzündung des Dünndarms und zu verschiedensten anderen Beschwerden: etwa Durchfall, Erbrechen, Blähungen, Müdigkeit, Bauchschmerzen, Vitaminmangel. Da die Symptome so divers sind, dauert es oft lange, bis die Diagnose gestellt wird.

Zöliakie

Bleibt die autoimmune Reaktion unerkannt, oder wird nicht auf eine glutenfreie Ernährung geachtet, kann es bei Kindern und Jugendlichen durch die Mangelversorgung zu Entwicklungsverzögerungen kommen. Bei Erwachsenen drohen als weitere Komplikationen unter anderem Unfruchtbarkeit und Darmkrebs.

Strikte Ernährung ist entscheidend

Bei der Zöliakie ist glutenfreie Ernährung das einzige, das hilft. Das wirkt sich auch auf die Planung der Freizeit und das Essen unterwegs aus. Zum Beispiel am Sportplatz.   

"Manchmal gibt’s da Pommes. Dann frage ich, ob die Pommes glutenfrei sind und ob in der Fritteuse noch etwas anders gemacht wurde. Und dann schau ich auf den Ketchup, ob da alles passt. Weil das ist ja immer in so kleinen Tütchen."

Emil Knoblich, Betroffener

Wenn „glutenfrei“ auf der Verpackung steht, muss das Produkt auch tatsächlich frei von Gluten sein. Das hat Vorteile: 

"Ich muss die Zutatenliste, wenn ich nur auf Gluten achten muss, einfach gar nicht mehr lesen. Gerade für die Kinder ist es natürlich auch sehr einfach schnell festzustellen – entweder über das Zeichen oder das Wort glutenfrei."

 Katharina Knoblich, Betroffene

Aber das hat seinen Preis: Glutenfreie Produkte sind leicht zwei- bis viermal so teuer, wie herkömmliche Produkte. Ein Beispiel: Lasagneblätter aus Weizen kosten rund 6 Euro pro Kilo. Glutenfreie aus Reis und Mais etwa 17 Euro.

Teuer, aber gefragt

Doch: Der Markt an sogenannten Frei-von-Produkten boomt. Auch wenn die Kennzeichnung manchmal wenig Sinn ergibt. So werden etwa Hafer-Drinks mit dem Label „laktosefrei“ gekennzeichnet, obwohl es sich dabei um ein Getränk aus Getreide handelt – und nicht aus Milch. Reiswaffeln werden mit „glutenfrei“ beworben – auch wenn Reis von Natur aus frei davon ist.

Die Kennzeichnungen zeigen Wirkung: Laut einer Studie liegt bei 65 Prozent der Frei-von-Käuferschaft keine nachgewiesene Unverträglichkeit vor. Die Gründe für den Kauf der Produkte: 50 Prozent halten sie für gesünder, ein Drittel vermutet wertvollere Inhaltsstoffe, 26 Prozent denken, sie seien ökologischer.

"Die Produkte enthalten nicht unbedingt bessere Inhaltsstoffe – im Gegenteil. Wenn ich mich zum Beispiel glutenfrei ernähre, schränke ich die Auswahl an Getreidesorten durchaus ein. Häufig ist in den verarbeiteten Produkten auch sehr viel Salz enthalten. Da muss man genau auf die Zutatenliste achten."

Anja Schwengel-Exner, Diplom-Ökotrophologin, Verbraucherzentrale Bayern e.V.  

Zu verzichten, obwohl keine Unverträglichkeit oder Allergie vorliegt, kann sogar gesundheitliche Nachteile haben, sagt die Ernährungsmedizinerin Prof. Dr. med. Yurdagül Zopf, Leiterin des Hector-Center für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum Erlangen.

"Streicht man Milchprodukte aus der Ernährung, bedeutet das eine unglaubliche Zufuhrreduktion von bestimmten Proteinen, von Kalzium. Wir brauchen diese Inhaltstoffe aber für unser gesamtes System – nicht nur für den Knochenstoffwechsel. Und: Wenn man einfach irgendwelche Lebensmittel streicht und der Darm sich daran gewöhnt, kann auch erst dadurch eine Unverträglichkeit entstehen."

Prof. Dr. med. Yurdagül Zopf, Ernährungsmedizinerin und Leitung des Hector-Center für Ernährung, Bewegung und Sport, Universitätsklinikum Erlangen

Auch der Verzicht auf Gluten kann sich negativ auswirken. Unser Darm ist auf Ballaststoffe angewiesen. Sie haben einen Einfluss auf Darmflora, Darmbewegung, Darmfunktion und Sättigungsgefühl. Viel besser als auf Verdacht Lebensmittel wegzulassen, so die Expertin: Medizinischen Rat einholen, über sieben Tage Ernährungstagebuch führen und die eigenen Grenzen kennenlernen. Für Milchprodukte z.B. liegt die Empfehlung bei maximal 250 Gramm pro Tag. 

Unverträglichkeiten erfordern Planung

Hanna Engelbrecht ist eine der Patientinnen von Prof. Zopf. Auf Laktose und Fruktose reagiert die Studentin mit Schwindel und Bauchschmerzen. Beim Auswärts essen heißt es deshalb vorbereitet sein: 

"Wenn ich unterwegs bin, achte ich darauf, immer meine Tabletten dabeizuhaben. Wenn essen gehe, versuche ich das so zu legen, dass ich zur Not an den nächsten Tagen nichts vorhabe. Einfach nur für den Fall der Fälle."

Hanna Engelbrecht, Patientin

Hanna Engelbrecht ist froh, dass es Produkte gibt, die eindeutig als „laktosefrei“ ausgewiesen werden. Anders sieht es bei ihrer Fruktoseunverträglichkeit aus. Denn: Lediglich die 14 Hauptallergene müssen laut Gesetzgeber deutlich auf der Zutatenliste hervorgehoben werden: z.B. Eier, Fisch, Nüsse, Senf, Sellerie, Milch. Fruktose gehört nicht dazu.

Bei den Knoblichs wird daher viel selbst gebacken und frisch gekocht – so hat die Familie es in der Hand, was tatsächlich auf dem Teller landet. Wenig auf Fertigprodukte zu setzen, hat einen weiteren Vorteil, so Katharina Knoblich: Sie muss weniger Zutatenlisten lesen. Für Familie Knoblich und andere Menschen mit Unverträglichkeit sind Frei-von-Produkten ein Segen. Für alle anderen sind sie vor allem eines: teurer.


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