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Physiotherapie Kinesiotapes selbst kleben?

Kinesiotapes, die elastischen Klebebänder, sollen gegen Knie-, Schulter-, Rückenschmerzen und Muskelverspannungen helfen. Sollte das eine Physiotherapeutin oder ein Arzt machen, oder wann können vielleicht auch Laien selbst kleben? Und worauf sollte jeder achten, um sich selbst nicht zu schaden?

Von: Isabel Hertweck-Stücken

Stand: 28.08.2024

Rücken, Schulter, Knie: Kinesiotapes selbst kleben?

Nürnberg, Unterricht in der Physiotherapie-Klasse der Doepfer Schulen. Monika Braun unterrichtet hier zukünftige Physiotherapeuten in der Kunst des Tape-Klebens. Eine sinnvolle Erweiterung des Behandlungsangebots mit sehr breitem Anwendungsspektrum.

"Es gibt verschiedene Anwendungstechniken. Das heißt, wir können was für die Muskulatur kleben, wir können was für das Lymphsystem kleben, damit da wieder ein besserer Ablauf ist, wir können was gegen die Schmerzen kleben, die der Patient hat."

Monika Braun, Physiotherapeutin, Nürnberg

Kinesiotapes für Anfänger: Keep it simple!

Damit das auch wirklich funktioniert, braucht man viel Erfahrung und einige Anatomiekenntnisse. Die gute Nachricht für medizinische Laien: Ein paar einfache „Standards“ kann man auch zu Hause versuchen.

Einsteiger-Taping Rückenschmerzen: „Falten“ für die Durchblutung

Kinesiotapes: Kinesiotapes selber kleben: Rücken

Das Taping gegen Schmerzen und Verspannungen im unteren Rückenbereich soll die Mikrozirkulation in den betroffenen Muskeln verbessern und die Haltung stabilisieren. Wichtig für die richtige Klebe-Technik: kleine Wellen im Band, die sogenannten „Convolutions“; und zum Stabilisieren das sogenannte Kleben „mit Zug“, das heißt mit vorgedehntem Band.

Anleitung: Einsteiger-Taping Rückenschmerzen

Wer diese Technik zuhause ausprobieren möchte, braucht einen Helfer.

  • Der Patient muss sich dabei vorbeugen. Dann wird das Band abgemessen, bis circa zu den unteren Rippenbögen.
  • Das Band wird in der Mitte eingeschnitten, bis zu einer etwa fünf Zentimeter langen Basis. Die Ecken abrunden.
  • Jetzt wird das Band aufgeklebt: zuerst die Basis im Stehen, und dann, vorgebeugt, rechts und links der Wirbelsäule. Trick: Erst noch ein Stückchen Papier dranlassen, dann kann man das Band später genauer auf den Muskeln positionieren.
  • Wichtig: Wenn der Patient sich jetzt aufrichtet, müssen sich im Band kleine Wellen bilden - die sogenannten Convolutions, die die Haut minimal von ihrer Unterlage abheben.

"Unter der Haut sind natürlich auch viele Rezeptoren, und auch Nozizeptoren, also Schmerzmelder, die werden dann nicht mehr so stark gedrückt, es gibt auch eine bessere Mikrozirkulation in diesem ganzen Bereich."

Monika Braun, Physiotherapeutin, Döpfer Schulen Nürnberg

Für zusätzliche Stabilität wird ein zweites Tapestück vorbereitet: Unterlage einreißen und an beiden Seiten fassen. In der Mitte auseinanderdehnen, aufkleben, und die Seiten ohne Zug befestigen. Die Technik, bei der mit Zug geklebt wird, nennt man übrigens Ligament-Technik.

Vielen Patienten mit Schmerzen und Verspannungen im unteren Rückenbereich hilft dieses Tape. Manch einer wird aber auch keine Wirkung verspüren – trotz technisch einwandfrei geklebten Tape-Streifen. Denn die richtige Technik beim Tape-Kleben ist nur eine Voraussetzung für eine spürbare Wirkung. Genauso wichtig ist die richtige Diagnose.

Warum Kinesiotapes funktionieren – und warum sie manchmal nichts bringen

Der Erlanger Orthopäde Bernd Niedermeyer weiß: Um mit Tapes eine Wirkung zu erzielen, muss man genau wissen, welche Muskeln, Gelenke oder Faszien den Schmerz verursachen.

"Normalerweise kann man nichts Gravierendes falsch machen. Es kann lediglich sein, dass mit der ungenauen Anlage des Tapes, mit der nicht vorhandenen Kenntnis von Anatomie und Funktion der Gelenke, die Wirkung nicht so einsetzt, wie man es sich wünschen würde."

Dr. med. Bernd Niedermeyer, Orthopäde und Unfallchirurg, Erlangen

Sein Patient Thomas G. hatte einen akuten Bandscheibenvorfall. Das maßgeschneiderte Rückentape hat ihm, im Zusammenspiel mit Massagen und Schmerzmedikamenten, geholfen.

"Ich habe es jetzt eine Woche draufgehabt. Seit zwei bis drei Tagen ist der Schmerz deutlich zurückgegangen. Ich kann nicht sagen, dass das Tape damit nichts zu tun hat. Die Reaktion war sehr zeitnah, so dass ich schon überzeugt bin, dass es mit unterstützt hat."

Thomas G., Rückenschmerzpatient

Triggerpunkte behandeln

Der Orthopäde kümmert sich zusätzlich um bestimmte schmerzende, verhärtete Punkte, die er ertastet hat, mit einem sogenannten Schmerzkreuz. Das ist eher eine Technik für Profis. Richtig angewendet, ist sie eine sinnvolle Ergänzung des Spektrums der konservativen Therapie.

"Es ist mittlerweile auch bekannt, dass durch die Verwendung von Triggerpunkten die Schmerzweiterleitung reduziert wird und auf diese Art und Weise der Schmerz reduziert werden kann. Zusätzlich wird dem Patienten durch die Schienung in einem Gelenk und die Unterstützung in der Bewegung ein anderes Koordinations- und Körpergefühl vermittelt. Die Patienten fühlen sich etwas stabilisiert durch das Tape."

Dr. med. Bernd Niedermeyer, Orthopäde und Unfallchirurg, Erlangen

Nebenwirkungsarm ist das Verfahren außerdem, wenn man darauf achtet, die Tapes nicht auf gereizte oder entzündete Hautpartien aufzubringen.

"Die Kinesiotapes entfalten eine große Klebekraft. Wenn ich jetzt zum Beispiel eine Hautreizung habe, eine Entzündung, einen Abszess, vielleicht auch einen Sonnenbrand, oder wenn an der Stelle zum Beispiel eine Bestrahlung stattgefunden hat oder eine Allergie auf den Klebstoff vorhanden ist – dann habe ich natürlich Hautreaktionen, die ich nicht haben möchte und die auch der Wirksamkeit des Tapes entgegenstehen."

Dr. med. Bernd Niedermeyer, Orthopäde und Unfallchirurg, Erlangen

Tape für schmerzende Nackenmuskulatur

Kinesiotape: Kinesiotapes selber kleben: Nacken

Bei vielen Menschen ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass der sogenannte „Trapezius-Muskel“ im Schulterbereich verspannt ist. In diesem Fall kann das Einsteiger-Taping für Nackenschmerzen eine gute Wirkung haben. Vorher gibt es allerdings noch einen wichtigen Tipp von Profi Monika Braun. Denn im Nacken- und Halsbereich sind die meisten empfindlicher als am Rücken.
Besonders Menschen, die schon Probleme mit Schwindel hatten, sollten vorsichtig sein und die Reaktionen genau beobachten. Dann spricht nichts dagegen, das Taping gegen den verspannten Nacken zu testen.

"Es treten viel eher Allergien auf, und es geht auch um Schwindel. Den Leuten wird viel eher schwindelig."

Monika Braun, Physiotherapeutin, Nürnberg

Einsteiger-Taping Nackenschmerzen bzw. Schulter

Anleitung:

  • Fürs Abmessen zuerst den Muskel vordehnen: Kopf zur Seite neigen, dann auf den Boden schauen.
  • Das Band bis zum Haaransatz abmessen.
  • Dann wieder die Basis aufkleben, das Band erst locker auflegen, wieder ein kleines Stück Papier dranlassen, den Kopf nochmal zur Seite neigen, und dann das Band nochmal genauer auf dem Muskel positionieren.
  • Die Convolutions (Faltungen) zeigen sich, wenn die Schulter angehoben wird.

Kinesiotapes als erste Hilfe gegen Schwellungen

Die Kinesiotapes werden mittlerweile nicht nur bei orthopädischen Diagnosen eingesetzt, sondern auch in vielen anderen Bereichen. Mit bestimmten Techniken sollen nicht nur die Mikrozirkulation unter-, Gelenke gestützt und stabilisiert, sondern auch der Lymphabfluss verbessert werden.

"In der Neurologie bei Schlaganfallpatienten habe ich sehr gute Erfolge damit gehabt, dass sie weniger Schmerzen haben im Bereich der Hand, wenn sie eine Spastik haben. Viele Zahnärzte arbeiten damit, bei Zahnextraktionen, wenn die Weisheitszähne rauskommen, weil man wesentlich weniger Schmerzen haben kann. Nach einer Tapeanlage im Gesicht kann der Lymphabfluss gut unterstützt werden. Natürlich kann man sie auch in der Gynäkologie anwenden, nach Brustoperationen, damit der Lymphabfluss da auch ein bisschen angeregt wird, oder im Bereich der inneren Medizin bei Asthma oder Bronchitis. Dem sind wenig Grenzen gesetzt, sofern der Therapeut weiß, was er tut."

Monika Braun, Physiotherapeutin, Nürnberg

Ein Tape, das den Lymphabfluss anregen soll, sieht etwas komplizierter aus. Das Band wird hier in fünf Streifen geschnitten und ähnelt aufgeklebt entfernt einem Oktopus. Fingerfertige Laien können sich aber auch daran versuchen.

Einsteiger-Taping „Oktopus“

Kinesiotape: Kinesiotapes selber kleben: Oktopus

Das Tape soll helfen, eine Schwellung zum Beispiel bei einem vertretenen Knöchel schneller zum Abklingen zu bringen, indem der Lymphabfluss verbessert wird. Diese Technik wird auch nach operationsbedingten Schwellungen eingesetzt, auch bei Lymphödemen. Sie kann nicht auf Dauer eine Lymphdrainage ersetzen, ist aber praktisch zur Überbrückung von zum Beispiel Urlaubszeiten.

Einsteiger-Taping „Oktopus“

  • Zuerst das Band abmessen, von der Innenseite des Knies bis zum Ballen.
  • Dann das Band halbieren. Beide Bänder werden eingeschnitten, in fünf Streifen, bis zu einer Basis von circa fünf Zentimetern. Dann die Ecken der einzelnen Zügel und die Basis abrunden.
  • Die Basis wird jetzt an der Innenseite des Knies aufgeklebt, dann die Zügel locker auflegen: ein Stückchen Papier dranlassen. Die einzelnen Streifen positionieren, dabei mit den äußeren Streifen anfangen.
  • Dann den zweiten „Oktopus“ mit der Basis aufkleben, und mit der gleichen Technik entlang der Lymphbahnen auf den geschwollenen Bereich aufkleben. Das Band dabei nicht dehnen.
  • Noch besser klebt das Band, wenn vorher die Haare rasiert werden – am besten am Vortag, um die Haut nicht zu reizen.

Gut geklebt hält länger

Zwischen zwei und sieben Tage bleibt das Tape auf der Haut. Damit es so lange klebt, sollte die Haut trocken, fettfrei und möglichst nicht verschwitzt sein. Viele Haare auf der Haut können vor der Tapeanlage rasiert werden – am besten am Vortag, damit die Haut sich wieder beruhigen kann.

"Wie lange das Tape auf der Haut bleibt, richtet sich danach, ob es ein akuter oder ein chronischer Prozess ist. Wenn es ein akuter Prozess ist, dann kann sich das relativ schnell verändern, dann kann das auch mal nach zwei Tagen abgehen. Wenn es aber was Chronisches ist, wenn jemand Stabilität braucht, dann kann das Tape auch mal bis zu sieben Tage draufbleiben."

Monika Braun, Physiotherapeutin, Nürnberg


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