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Das Thema Gleichberechtigung

Stand: 05.03.2012 | Archiv

Unter dem Motto "Dem Manne der Staat, der Frau die Familie” formieren sich die Widersacher. Die Frauen unter ihnen sehen das "Ewig-Weibliche” bedroht. Die Männer wollen ihren Machtbereich verteidigen.

Antifeminismus als Gegenbewegung

1852 erklärt der Komponist Richard Wagner (1813-1883), er habe mit der Gestalt der Ortrud in seiner Oper "Lohengrin" eine Frau zeichnen wollen, "die Liebe nicht kennt. Hiermit ist alles, und das Furchtbarste gesagt. Ihr Wesen ist Politik. Ein politischer Mann ist widerlich; ein politisches Weib aber grauenhaft: diese Grauenhaftigkeit hatte ich darzustellen." Kirchen, Parteien und Berufsverbände unterstützen den Antifeminismus und es gelingt ihnen, die Forderungen der Frauenbewegung bis ins 20. Jahrhundert hinein abzublocken. Noch im Jahr 1900 schreibt der Leipziger Nervenarzt Paul Julius Möbius (1853-1907) das Buch "Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes". Darin heißt es, die Frau sei unfähig, "Gutes von Bösem zu unterscheiden", ihr Instinkt mache sie "tierähnlich, unselbständig, heiter". Schon junge Mädchen wollen nicht lernen und während der Ehe verdumme die Frau dann gänzlich: "Der Verfall beginnt oft nach einigen Wochenbetten, die Geistesfähigkeiten gehen zurück, die Frauen versimpeln". In vielen Blättern werden emanzipierte Frauen in Karikaturen lächerlich gemacht.

Auf dem Weg zur Gleichberechtigung

Dennoch trägt der Kampf der Frauen allmählich Früchte. Nach 1890 ist ein deutlicher Anstieg im öffentlichen Einfluss der Frauen zu beobachten. Die bürgerliche Richtung der Frauenbewegung sammelt sich nun in dem von Helene Lange (1848-1930) geprägten Bund Deutscher Frauenvereine (1894), der 1913 eine halbe Million Mitglieder zählt.

Der Bund Deutscher Frauenvereine tritt ein für

  • die rechtliche Gleichstellung der Frau,
  • das Ideal der Mutterschaft,
  • für die Berufstätigkeit unverheirateter, kinderloser Frauen,
  • für die Lehrerinnenausbildung sowie
  • für Abitur und Universitätsstudium.

Die proletarische Richtung der Frauenbewegung will sich mit solch bescheidenen Zielen nicht zufrieden geben. Sie fordert die volle rechtliche und politische Gleichstellung von Mann und Frau. Doch es gibt auch Berührungspunkte, etwa mit der 1905 von Helene Stöcker (1868-1943) gegründeten Mutterschutzliga, die innerhalb der bürgerlichen Bewegung radikalere Positionen vertritt.

1893 entsteht in Karlsruhe das erste deutsche Mädchengymnasium. 1908 werden Frauen zum Universitätsstudium zugelassen. Noch im gleichen Jahr entfällt ein Paragraph aus dem Vereinsgesetz, der Frauen jegliche politische Betätigung untersagt. Luise Zietz (1865-1922) steigt als erste Frau in den Vorstand einer Partei (SPD) auf.

Zwar dürfen Frauen seit 1908 studieren, doch es dauert noch weitere zehn Jahre, bis sie das aktive Wahlrecht und das passive Wahlrecht erhalten. Damit sind sie vollberechtigte Staatsbürgerinnen. Ohne die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg und die anschließende revolutionäre Erschütterung hätten die Frauen wohl noch etliche Jahre auf das Wahlrecht warten müssen. Am 19. Januar 1919 sind 17 Millionen Frauen und 15 Millionen Männer in Deutschland wahlberechtigt. Die Wahlbeteiligung beträgt bei den Frauen 82,3 Prozent und bei den Männern 82,4 Prozent. 310 Frauen kandidieren, 41 Parlamentarierinnen ziehen in die Nationalversammlung ein. 14 Jahre später geht das passive Wahlrecht den Frauen wieder verloren: Die Nationalsozialisten schaffen es ab.


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