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Das Thema Militante Aktivistinnen

Stand: 05.03.2012 | Archiv

1908/09 füllen sich die Frauengefängnisse in England. Zu ihrem Erstaunen werden die Suffragetten - mehrheitlich Damen der Mittel- und Oberschicht - nicht als politische Gefangene anerkannt, sondern wie Kriminelle eingesperrt.

Die Lage eskaliert

Emmeline und Christabel Pankhurst drehen an der Konfliktspirale und im Sommer 1909 treten die ersten Suffragetten in den Hungerstreik. Die Bilder ausgemergelter Frauen verfehlen ihre Wirkung nicht, zudem erweist sich der Hungerstreik als probates Mittel, Haftentlassungen zu erzwingen. Doch Premierminister Asquith schlägt zurück und lässt Frauen zwangsernähren. Mehr als 1.000 weibliche Häftlinge müssen diese Prozedur in den nächsten Jahren über sich ergehen lassen. Das Gefängnispersonal schiebt oft mit brutaler Gewalt Schläuche durch Nase, Mund oder Mastdarm. Trotz dieser Foltermethoden sind die Suffragetten nicht zu stoppen.

Die Suffragetten leisten Widerstand

In Kampf für das Frauenstimmrecht erproben die Suffragetten vielerlei Protestformen. Sie demonstrieren, stürmen Wahlveranstaltungen, rauchen ganz und gar nicht ladylike in der Öffentlichkeit, klettern auf Dächer und schrecken nicht davor zurück, ihre Gegner mit toten Katzen zu bewerfen. Der spätere Kriegspremier Winston Churchill (1874-1965), im Jahr 1909 Tory-Politiker und Handelsminister, steht eines Tages auf dem Bahnhof in Bristol einer mit einer Hundepeitsche bewaffneten Suffragette gegenüber.

1910 legt eine Gruppe Parlamentarier einen parteiübergreifenden Kompromissvorschlag zum Frauenwahlrecht vor. Demnach sollen Frauen, sofern sie Steuern zahlen und über ein bestimmtes Vermögen verfügen, wählen dürfen. Doch die Regierung Asquith torpediert das Vorhaben. Am 18. November 1910 demonstrieren zahlreiche Suffragetten in London und versuchen in das Parlament einzudringen. Es kommt zu einer mehrstündigen Straßenschlacht und Massenverhaftungen. Nicht nur Polizisten schlagen auf die Frauen ein, es rotten sich auch Passantengruppen zusammen und beteiligen sich an den Prügeleien. Zwei Frauen werden bei den Auseinandersetzungen tödlich verletzt.

Aus heutiger Sicht ist sind diese Gewaltexzesse nur schwer zu verstehen. Großbritannien ist zu dieser Zeit beispielsweise in Migrationsfragen erstaunlich tolerant und gilt als Schutzhafen für Verfolgte. Tausende Juden, die vor Pogromen in Osteuropa fliehen, finden Aufnahme. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Suffragetten lässt sich wohl nur mit einer tief verwurzelten Frauenfeindlichkeit quer durch alle Gesellschaftsschichten und einer großen Angst vor Veränderung erklären.

Der Guerillakrieg der Suffragetten

Für Emmeline Pankhurst und ihre militanten Aktivistinnen ist das Maß nun voll. Sie erklären der Regierung den Krieg: "Wir sind bereit, unsere Ehre, unsere Freiheit und unser Leben zu opfern". Neue Strategie der Suffragetten ist nun die Zerstörung von Eigentum. "Als die Suffragetten die Strategie der Lobbyarbeit verließen", sagt die Politologin Michaela Karl, "war ihnen klar, dass sie irgendwann beim Bombenwerfen landen würden. Sie hatten einkalkuliert, dass sich die Gewaltspirale steigert, wenn die Regierung nicht einlenkt".

Im März 1912 schlagen hunderte Suffragetten in einer Großaktion mit Hämmern Schaufensterscheiben in der Londoner City und im Westend ein. Christabel Punkhurst flieht nach Paris, ihre Mutter verschwindet hinter Gittern. Die Suffragetten gehen nun zu Golfplatzzerstörungen über, sprengen Briefkästen, kappen Telefonleitungen und werfen Brandsätze in öffentliche Gebäude. Nicht einmal das Schloss des Prinzen Christian und der Sitz des Erzbischofs von Canterbury sind vor Attacken sicher. Die Bahnhöfe Birmingham, Saunderton und Croxley Green werden gesprengt und im Februar 1913 detoniert eine Bombe am Landhaus des Schatzkanzlers David Lloyd George (1863-1945).

Emily Wilding Davison - Die erste Märtyrerin

Beim Derby in Epsom will Emily Wilding Davison (1872-1913) am 4. Juni 1913 ein Zeichen setzen. Die protesterprobte Suffragette, die mehrfach in Haft saß, zwangsernährt und schikaniert wurde, stürmt mit einer Fahne der WSPU auf die Galopprennbahn und wirft sich vor das Pferd König Georgs V.; sie erleidet schwerste innere Verletzungen und stirbt wenige Tage später. Inhaftierte Suffragetten treten in einen Durststreik.

Emmeline Pankhurst und die Führung der Suffragetten befinden sich in einer Zwickmühle. Sie verfügen über eine Märtyrerin ("Engel der Rennbahn") und Weltpresse berichtet über sie. Die Regierung gerät mehr und mehr in Bedrängnis. Nach geltender Guerillalogik müssten die Suffragetten nach dem Tod der Emily Wilding Davison die Gewalt eigentlich steigern und zu Attentaten auf Politiker übergehen. Menschen gezielt zu töten oder zu verletzen widerstrebt aber selbst radikal-militanten Feministinnen. Die Bewegung steht am Scheideweg. Sie hat zwar viel Aufmerksamkeit erlangt, aber über eine Basis im Volk verfügt sie mit ihren etwa 2.000 festen Mitgliedern nicht.


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