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Hintergrund Wie sich die Recherche von anderen Dokus unterscheidet

Bei Geschichts-Dokumentationen sind die Recherche und die Einordnung historischer Gegebenheiten selbstverständlich. Die Fülle des Ausgangsmaterials für die beiden Filme "Jahre der Verführung" und "Jahre des Untergangs" gab dabei unterschiedlichste Eckdaten und Fragen zum "Dritten Reich" vor, mit denen sich die Regisseurinnen auseinandersetzten. Dabei waren immer das Filmmaterial und die dort sichtbaren Details der Ausgangspunkt für die Recherche nach den größeren Zusammenhängen:

Stand: 05.11.2019

Autorinen Despina Grammatikopulu und Michaela Wilhelm-Fischer (r.)  | Bild: privat

Was waren die Reichsparteitage und wofür standen sie? Seit wann gab es das Konzentrationslager Dachau? Was waren die Totenkopfverbände, die dort ausgebildet wurden? Was genau feierten die Nationalsozialisten während des Festzuges "2.000 Jahre deutsche Kultur"?  Da nahezu jeder Lebensbereich im "Dritten Reich" von der NSDAP gleichgeschaltet war, betraf ein Großteil der Recherche auch den Alltag der Menschen: Wie funktionierten die Jugendverbände, die Hitlerjugend und der Bund Deutscher Mädel? Welche Möglichkeiten gab der Verband "Kraft durch Freude"? Wie vollzog sich eine SS-Hochzeit? Nicht selten lag den Regisseurinnen das vorhandene Material unbeschriftet und ohne jegliche Informationen vor, so dass noch ganz andere Dinge von Bedeutung waren, um den Geschichten hinter den Bildern auf die Spur zu kommen.

Michaela Wilhelm-Fischer

"Wir haben manchmal Stunden damit verbracht, Kirchtürme oder markante Brunnen zu lokalisieren. Oft wussten wir ja nicht, in welchem Dorf die Szene aufgenommen wurde, wohin uns das Material bringen würde oder welche Geschichte dahinter steckt. Wir haben mit vielen Stadtarchiven und Ortsansässigen gesprochen, ihnen Bildausschnitte gezeigt und uns unsere Vermutungen bestätigen oder revidieren lassen. Manchmal hatten wir Glück, manchmal mussten wir einfach weitersuchen. Das Tegernseer Strandbad war ein harter Brocken. Wir hatten im Bild einfach nichts Markantes, das die Zuordnung erleichtern konnte. Ebenso erging es uns mit dem Material von Soldaten in Aichach. Auch da konnten wir keinem Hinweis im Bild folgen. Dass wir es bei einem Skilift in Garmisch tatsächlich mit dem ältesten Skilift Deutschlands zu tun haben, hat uns dagegen ein sehr erfahrener und geschichtsaffiner Bergführer für die Region bestätigt. Ihn erwischten wir auf dem Handy, als er gerade selber auf der Piste war."

Die Regisseurinnen Despina Grammatikopulu und Michaela Wilhelm-Fischer

Unzählige kleine Details brachten Despina Grammatikopulu und Michaela Wilhelm-Fischer und das Rechercheteam der Produktionsfirma DOKfilm auf Geschichten, die man den Bildern auf den ersten Blick nicht entnimmt:

Despina Grammatikopulu

"Wir sind immer vom Material selbst ausgegangen, haben versucht, Namen an Häusern im Hintergrund zu entziffern. Was entdecken wir? Welche Bildinformation kann uns etwas erzählen, das erst einmal unwichtig erscheint?"

Despina Grammatikopulu und Michaela Wilhelm-Fischer

Beispiele dafür gibt es viele: Schriftzüge über Geschäften, die etwas über die jüdische Gemeinde von Innsbruck erzählen. Der Name des Dampfers auf dem Chiemsee, der bei weiterer Recherche etwas über den Personalmangel bei der Belegschaft während des Krieges offenbart. An welcher Hand die Braut ihren Ring trägt, half herauszufinden, ob das Material vor oder nach der Hochzeit entstanden ist. Die Abzeichen auf den Uniformen der Soldaten gaben Hinweise auf deren militärischen Grad und Einheit, was die Recherche der jeweiligen Einsatzgebiete ermöglichte. 

Zwei Familien bilden den Kern

Es sind viele Facetten des Alltagslebens, die in der Dokumentation Raum finden und oft überraschen. Kern der filmischen Erzählung aber bilden zwei Familien aus Bayern, die besonders viel in ihrer Freizeit filmten. Anhand des jeweiligen Familienfilmfundus ergründeten Despina Grammatikopulu und Michaela Wilhelm-Fischer das Wirken der Familien während der NS-Zeit.

Eine der Familien ist eine Bäckersfamilie aus Dachau. Hier hatten die beiden Regisseurinnen besonders großes Glück. Sie konnten Nachfahren des aktiven Hobbyfilmers ausfindig machen und sich mit ihnen treffen. Familieninterne Details lassen auf diese Weise die Erzählung besonders authentisch wirken. Zusätzlich standen im Falle der Bäckersfamilie die Spruchkammerakten der bayerischen Archive zur Verfügung, um die Berichte der Familienmitglieder zu erweitern.

Recherchen rund um die zweite Familie – ein Brautpaar – erfolgten sehr aufwendig und ausschließlich über Dokumente und Akten unterschiedlichster Archive. Auf diese Weise gelang es den beiden Regisseurinnen sogar, in Zusammenarbeit mit dem Rechercheteam der DOKFilm GmbH nicht unbedeutende Verstrickungen der Familie mit dem NS-Regime zu Tage zu bringen und deren Flucht nach Argentinien nachzuweisen.

"Als uns die Producerin der DOKfilm, Stefanie Renner, aus Potsdam anrief und uns sagte, sie habe anhand eines Gebäudes im Hintergrund vermutlich den Namen des unbekannten Brautpaars gefunden, löste sie damit eine regelrechte Lawine weiterer Recherchen aus. Wir hatten endlich einen Schlüssel in der Hand, der uns half, weiterführende Fragen zu stellen und teilweise zu beantworten. Wir konnten im Bundesarchiv, sowie in Stadt- und Staatsarchiven forschen, Querverbindungen herstellen, inhaltliche Schlüsse ziehen. Mit jedem Detail, das wir in den Akten fanden, kamen wir einen Schritt weiter und konnten die Geschichte, soweit es uns möglich war, vervollständigen."

Despina Grammatikopulu und Michaela Wilhelm-Fischer

Alle Erkenntnisse haben die Regisseurinnen mit Archivaren, Zeitzeugen, Historikern und jeweils ortsansässigen Heimatvereinen abgeglichen. Aus der Fülle dieser Recherche entstand schließlich ein zusammenhängendes und lebendiges Bild des "Dritten Reiches", das hinter die historischen Daten blickt, den Alltag der Menschen in Bayern einfängt und Biografien jener Zeit skizziert.


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