Viele Betriebe in Bayern und Deutschland sind geschlossen, Schulen und Kindertagesstätten auf jeden Fall bis nach den Osterferien. Tausende arbeiten von zuhause aus. Viele stellen sich die Frage, wie lang das so weitergehen kann und unter welchen Umständen die sozialen Kontakte wieder erhöht werden können und wie sich dann die Zahlen der Erkrankten entwickeln würden.
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Forscherinnen und Forscher der TU Wien haben nun am Beispiel Österreich simuliert, was passieren könnte, wenn man die Maßnahmen langsam oder schnell wieder zurückfährt. Für das Computermodell sind mehrere Faktoren einbezogen worden: die Bevölkerungsstruktur in Österreich, die Art und Weise, wie sich das Coronavirus zum Beispiel über Husten verbreitet und die typische Anzahl an Kontaktpersonen, die man an einem normalen Arbeits- oder Schultag hat. Das reale Vorbild für die Simulation ist die Stadt Wien. Am 11. März gab es dort 50 bestätigte Fälle - das ist der Ausgangspunkt für die Rechnung.
Noch stärkere Maßnahmen bringen wahrscheinlich nur wenig
Ihr wichtigstes Ergebnis zu Beginn: Die Kontakte von Mensch-zu-Mensch seien deutlich reduziert worden, doch noch drastischere Einschränkungen bringen im Verhältnis nur noch wenig. Man könne zwar öffentliche Verkehrsmittel still legen oder noch mehr Betriebe schließen, aber gewinne damit kaum etwas.
"Man kann sich das vorstellen wie bei einem nassen Schwamm: Je mehr Druck man ausübt, umso mehr Wasser kann man herausdrücken. Aber irgendwann ist der Schwamm völlig komprimiert, und dann hat zusätzlicher Druck kaum noch eine Auswirkung." Dr. Niki Popper, Institut für Information Systems Engineering, TU Wien
Gefahr des sprunghaften Corona-Anstiegs nach dem Plateau
Das Forscherteam gehe davon aus, dass in Österreich der Höhepunkt der Krankheitsfälle bald erreicht sei, und dann die Fallzahlen zurückgehen.
"Wenn die Kontaktzahl aber dann sofort wieder auf das früher übliche Niveau ansteigt, dann wird auch die Zahl der Krankheitsfälle sehr rasch wieder zunehmen, so ähnlich wie sich ein zusammengedrückter Schwamm sofort wieder ausdehnt, wenn man den Druck wegnimmt." Dr. Niki Popper, Institut für Information Systems Engineering, TU Wien
Drei Szenarien haben die Forscherinnen und Forscher für den Ausstieg aus den Maßnahmen erstellt, mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen.
Szenario Eins: Die Maßnahmen bleiben so bestehen
Momentan sieht die Situation in Österreich so aus: Schulen, Hochschulen, viele Geschäfte und ein Viertel der Arbeitsstätten sind geschlossen. Darüber hinaus gelten ähnliche Kontaktbeschränkungen wie in Bayern. Auf diese Art und Weise haben sich die Freizeitkontakte um die Hälfte reduziert.
Würden diese Maßnahmen bis in den Sommer aufrechterhalten, so sagt die Simulation voraus: Die Covid-19-Zahlen werden weiter abnehmen.
Szenario Zwei: Die Maßnahmen werden punktuell gelockert
Im zweiten Szenario würden viele Geschäfte wieder geöffnet, aber die Schulen bleiben zu, ebenso gelten weiterhin die Kontaktbeschränkungen. Auch dann gehen in der Simulation die Infiziertenzahlen zurück, zwar nicht so schnell, wie im ersten Fall, aber dennoch so spürbar, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet würde.
Szenario Drei: Viele Maßnahmen werden ab Ostern gelockert
Im dritten Fall bleibt ab Ostern nur die Kontaktbeschränkung aufrecht. Arbeitsstätten werden generell wieder geöffnet, Schulen ab 4. Mai. Auch jetzt käme es nach den Berechnungen nicht zu einem explosionsartigen Anstieg, aber dennoch würde sich eine "zweite Welle" an Ansteckungen entwickeln, die höher als die jetzige wäre, so die Forscherinnen und Forscher der TU Wien.
Dennoch müsse man deutlich sagen: Langfristige Prognosen haben Unsicherheiten.
"Es ist wichtig, die Modelle Woche für Woche weiter zu verbessern und an das neueste Datenmaterial anzupassen. Je mehr wir über die Ausbreitung von COVID-19 lernen, umso zuverlässiger wird auch unser Blick in die Zukunft sein." Dr. Niki Popper, Institut für Information Systems Engineering, TU Wien
Studien warnen vor planloser Lockerung der Corona-Maßnahmen
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Studie aus Großbritannien, die so vor einer zweiten, gefährlichen Welle im Winter warnt. Eine Studie der Universität Harvard, die aber noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht worden ist, geht davon aus, dass man bis ins Jahr 2022 bestimmte Formen von Kontaktbeschränkung aufrechterhalten müsse, zwar nicht dauerhaft aber immer wieder, bis es einen Impfstoff oder wirkungsvolle Medikamente gegen SARS-Cov2 gibt.
Niedrige Verdopplungszahl der Virusinfektionen allein wird nicht reichen
Es gibt Überlegungen, eine Lockerung der Maßnahmen an den Verdopplungszahlen der Infizierten festzumachen. Zum Beispiel, wenn sich nur noch alle zehn Tage die Anzahl der an SARS-Cov-2-Infizierten verdoppelt. Doch diese Zahl kann wahrscheinlich nicht allein ausschlaggebend sein.
"Ich selber kann nicht sagen, welche Verdopplungszahl die Richtige ist. Es liegt viel mehr daran, dass das Virus nicht in Krankenhäuser und nicht in Pflegeheime kommt. Denn dort liegen die Menschen, denen das Virus sehr schwer zusetzen kann. Wenn wir jetzt dahin kommen, dass wir bestimmte vulnerable Einrichtungen besser schützen könnten und das auch wissen, bevor wir die Maßnahmen lockern, ist schon sehr viel gewonnen." Prof. Hendrik Streeck, Universität Bonn im B5-Podcast-Interview vom 30.03.2020
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