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Vögel in der Stadt: Taube in der Nürnberger U-Bahn

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Evolution: Wie sich Tiere und Pflanzen an die Stadt anpassen

Veränderter Vogelgesang und Mäuse, die sich von Stadtabfall ernähren: Zahlreiche Tiere und Pflanzen passen sich rasant an das urbane Leben an - und das oft viel schneller als wir es von evolutionären Prozessen gewohnt sind.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Wer beobachten möchte, wie sich Evolution entwickelt, der kann das im Zeitraffer in Städten erleben. Denn dort passen sich einige Tiere und Pflanzen rasant ihren urbanen Lebensumständen an. Sie entwickeln Strategien und Fähigkeiten, um mit Lärm, Müll, der Bodenversiegelung und Verschmutzung zu überleben. Bei einigen konnten Wissenschaftler in - für die Evolution - kurzen Zeitspannen auch genetische Veränderungen feststellen.

"Neuer" Gesang für urbane Vögel

Um den störenden Verkehrslärm in der Stadt zu übertönen, singt die städtische Kohlmeise einfach höher als eine auf dem Land lebende. Auch andere Vogelarten ändern ihren Gesang in urbaner Umgebung. Bei manchen Nachtigallen in Deutschland wurde nachgewiesen, dass sie an Werktagen lauter singen als am Wochenende. In Experimenten versuchen Forscher herauszufinden, ob ein solches Verhalten angeboren ist oder ob die Vögel diese Strategien im Laufe ihres Lebens erlernen. Wissenschaftliche Versuche sprechen für erlernte Fähigkeiten.

Wie die Amsel zur Stadtamsel wird

Allerdings gibt es auch neue Eigenschaften, die die Stadtbewohner an ihren Nachwuchs vererben. Ein Beispiel: Amseln. Sie mischen sich seit rund 200 Jahren unter die Stadtvögel. Wie der Evolutionsbiologe Menno Schilthuizen von der niederländischen Universität Leiden erklärt, ist dies auch optisch zu erkennen.

"Stadtamseln haben kürzere Schnäbel, sie singen höher, um gegen den Stadtlärm anzukommen, und sie ziehen im Winter nicht mehr weiter. Wahrscheinlich, weil es in der Stadt das ganze Jahr Nahrung gibt und es wärmer ist. Stadtamseln sind sogar weniger gestresst. Die Gene für Stresshormone haben sich verändert." Menno Schilthuizen, Evolutionsbiologe an der Universität Leiden (NL)

Schilthuizen, der die Verstädterung von Tieren und Pflanzen untersucht, glaubt, dass die Stadtamsel auf dem besten Weg ist, eine eigene Art zu werden. "Turdus urbanicus" könnte sie heißen, meint er.

Verändertes Zugverhalten

Wenn man aus einem Amselnest in der Stadt und aus einem Nest vom Land Eier entwendet und die geraubten Amselküken im Labor aufzieht, dann wollen die einen im Herbst in den Süden ziehen, die anderen nicht. Und das, obwohl keine der Laboramseln jemals eine Stadt gesehen hat.

Schnelle Anpassung von Mäusen

Die Verhältnisse in der Stadt sind von Lärm geprägt. Zudem ist es nachts ziemlich hell und alles ist mit Stahl, Beton und Glas zugebaut und dadurch auch wärmer als auf dem Land. Zudem findet sich in Städten meistens mehr Müll als in ländlichen Gegenden. Tiere, die dem Abfall etwas abgewinnen können, haben in der Stadt also durchaus einen Vorteil. Im New Yorker Stadtgrün leben Mäuse mit Genen, die sie vermutlich widerstandsfähiger machen gegen Schwermetalle im Boden und Gifte von Schimmelpilzen in Essensresten.

Fastfood-Mäuse

In einer im Herbst 2017 veröffentlichten US-amerikanischen Studie wurden auf dem Land lebende Mäuse mit ihren Artgenossen aus New York genetisch verglichen. Dabei stellten die Wissenschaftler Stephen E. Harris (University of New York) und Jason Munshi-South (City University of New York) 19 Genveränderungen bei den Stadtmäusen fest. Die Forscher waren der Ansicht, diese könnten auch von den vielen Fastfood-Resten herrühren, von denen sich die Stadtmäuse ernährt hatten. So fanden sie unter anderem Veränderungen bei Genen, die zur Fettsäureverarbeitung dienen.

Anpassung an giftiges Wasser

Es gibt aber noch weitere Beispiele: Dank einer vorteilhaften Genvariante können Fische in Hafenbecken an der US-Ostküste in eigentlich tödlichen Dosen der giftigen und krebsauslösenden Chlorverbindung PCB (Polychlorierte Biphenyle) schwimmen. Die Anpassung an diesen Zustand dauerte nur ein paar Jahrzehnte.

Mikro-Evolution bei Pflanzen

Sonja Knapp vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle widmet sich der Untersuchung von Stadt- und Landpflanzen. Sie spricht im Zusammenhang mit der Anpassung der Pflanzen von Mikro-Evolution. Zum Beispiel erforscht sie den Hasen-Pippau, ein kleines Asterngewächs mit gelber Blüte. Dieser "Crepis sancta" ist dem Löwenzahn zum Verwechseln ähnlich.

Der Hasen-Pippau hat sich, so die Ergebnisse von Knapp, sehr schnell an urbane Gegebenheiten angepasst. In der Stadt lässt die Pflanze ihre Samen öfter gerade herunterfallen, statt sie wie auf dem Land mit Fliegerschirmchen durch die Luft segeln zu lassen. "Vermutlich, weil in der Stadt das Risiko bei der Fernausbreitung mit Fliegerschirmchen größer ist", so Knapp. Landet der Same auf einer Straße, kann er nicht keimen, "was für die Pflanze schlecht ist.“ Der Hasen-Pippau hat sich in nur zwölf Jahren optimiert – rekordverdächtig, wenn es um evolutionäre Prozesse geht.