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Datenschutz

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Richtungsstreit: Killt der DSGVO-Datenschutz Innovationen

US-Internetunternehmen klagen, der europäische Datenschutz könnte Innovationen wie selbstfahrende Autos behindern und beliebte Internetdienste unrentabel machen. Doch was ist wichtiger, Wachstum oder Wachsamkeit? Von Florian Regensburger

Die EU hat sich zum stärksten Regulierer der US-Tech-Industrie aufgeschwungen: Zu wichtig ist der europäische Markt, als dass sich Google, Facebook, Amazon und Co. nicht darauf einstellen müssten. Doch das Silicon Valley schlägt Alarm: Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), seit Freitag in der EU gültig, und noch viel mehr die kommende E-Privacy-Richtlinie, könnten das Aus für beliebte Internetdienste bedeuten und Innovationen behindern.

Lobbyarbeit der Tech-Industrie

Streitpunkt ist vor allem die e-Privacy-Richtlinie, die derzeit noch im Europäischen Rat verhandelt wird. Sie soll die Vertraulichkeit elektronischer Kommunikation garantieren. Die Richtlinie würde es Internetunternehmen in vielen Fällen verbieten, Meta- und Inhaltsdaten über das Surfverhalten oder den E-Mailverkehr einer Person zu sammeln und auszuwerten. Laut der American Chamber of Commerce to the European Union (AmCham EU), die die Interessen der US-amerikanischen Wirtschaft in Europa vertritt, würde das im Endeffekt zu schlechterem Schutz vor Cyberattacken und Schadsoftware und damit letztlich auch zu weniger Datenschutz führen. Dass der Schutz etwa vor dem Auslesen von E-Mails an sich bereits ein Mehr an Datenschutz bedeutet, spart die AmCham EU dabei aus.

Die Developers Alliance, in der sich Internetunternehmen wie Facebook, Google, Intel und dutzende App-Entwickler zusammengeschlossen haben, schätzt außerdem, dass die neuen Regelungen die Branche in Europa um 640 Milliarden Dollar Einnahmen pro Jahr erleichtern würden - kein Pappenstiel.

Werden Innovationen ausgebremst?

Die AmCham EU warnt mit Blick auf die e-Privacy-Richtlinie in einer aufwendigen Infografik vor einer "Straßensperre für Innovation". "Datengetriebene Innovation" sei ein Schlüssel für Wirtschaftswachstum und Wohlstand - und die e-Privacy-Richtlinie dafür viel zu restriktiv. Demnach müssten Unternehmen auch Kunden, die Messenger wie Wathsapp und iMessage oder ein Online-Game mit Messaging-Funktion nutzten, ausdrücklich um Erlaubnis fragen, wenn sie etwa Tracking-Cookies auf ihren Geräten platzieren, die Daten über das Kommunikationsverhalten sammeln.

Automatische Software-Updates in sekundenschnelle bei selbstfahrenden Autos, die für deren adäquates Funktionieren entscheidend seien, könnten nicht ohne Zustimmung des Besitzers in jedem Einzelfall aufgespielt werden, so eine weitere Befürchtung. Was in manchem europäischen Ohr nach vernünftiger Datensouveränität und informationeller Selbstbestimmung klingen mag, scheint für die US-Wirtschaftsvertreter so etwas wie den herannahenden Untergang des Abendlandes zu bedeuten.

Komfort versus Datenschutz

Wahr ist aber auch: Mit der Richtlinie in ihrer jetzigen Fassung könnten zum Beispiel Anpassungen an einer App, um den Nutzungsgewohnheiten der Kunden entgegenzukommen, nicht mehr so leicht vorgenommen werden, weil diese Gewohnheiten sich gar nicht mehr so leicht ermitteln ließen. Geschäftsmodelle, die auf kostenlosen Konsumentendiensten wie sozialen Netzwerken und der Auswertung von Nutzerdaten zu Werbezwecken fußen, könnten unrentabel werden, weil man über die Nutzer vielleicht gar nicht mehr so viel wüsste.

Gleichzeitig erhöht eine solche Regelung aber den Schutz etwa vor Manipulationen der Nutzer: Wer sie nicht so gut kennt, kann ihnen nicht so leicht maßgeschneiderte politische Botschaften auftischen. Nach dem Cambridege-Analytica-Skandal ist das auch kein ganz zu vernachlässigendes Argument. Doch was ist wichtiger? Der Schutz vor Meinungsmanipulation und der Privatsphäre? Oder ein maximales Potenzial an datengetriebener, digitaler Innovation, die praktische Gratis-Apps und obendrein Arbeitsplätze verspricht?

Richtungsstreit in Sachen Datenschutz

Vor allem aus den USA kommen seit Jahren Stimmen, die gar ein Herunterschrauben der Ansprüche in Sachen Datenschutz fordern, um Innovationen nicht zu gefährden. "Es gibt keine Privatsphäre mehr. Wir sind in einer Post-Privacy-Economy, in einer Ökonomie nach der Privatsphäre angekommen", sagte etwa Andreas Weigend, früherer Chef-Wissenschaftler bei Amazon, in der TV-Dokumentation "Achtung Internet: Deutschland erforscht das Netz" Anfang des Monats bei ARD alpha. Und da gebe es auch kein Zurück mehr.

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