Bildrechte: Hardy Müller/Deutsches Theater München

Wahnsinn: Thomas Hohler als Jungstar

Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

"Wolle" kann mehr als Wiesnhit: Musical "Wahnsinn" in München

Ein Musical mit den Hits von Wolfgang Petry? Das war am Deutschen Theater jedenfalls weder Schlagerparty, noch Oktoberfest-Ersatz, sondern eine gelungene und rasante Ruhrpott-Revue. Gil Mehmert inszenierte kitschfrei. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Dafür, dass Wolfgang Petry seit 19 Jahren nicht mehr auf der Bühne steht und in München überhaupt noch nie aufgetreten ist, war die Stimmung gestern Abend im Deutschen Theater vergleichsweise ausgelassen. Ein paar Zuschauer versuchten sogar, sich gleich zu Beginn in Mallorca-Laune zu klatschen, doch das war schnell vorbei, denn das Musical "Wahnsinn" ist weder Schlagerparty, noch Oktoberfest-Ersatz, sondern überraschend leise, ernsthaft, ehrlich und humorvoll.

Petry pendelt im Ruhestand

Wolfgang Petry war zwar nicht da, der pendelt in seinem wohl verdienten Ruhestand zwischen dem Ruhrgebiet und irgendeiner Sonneninsel, und außerdem kann er nach eigener Aussage mit Musicals nichts anfangen, aber das mit seiner Musik, das sich Martin Lingnau und Heiko Wohlgemuth ausgedacht hatten, das fand er dann doch ganz anrührend. Es geht um sein Leben in Köln und an der Ruhr, seine Karriere, die in einer Disco im rheinischen Forsbach begann und alles andere als schnell und geradlinig verlief.

22 Tonnen Shrimps

In den Achtzigern war Petry, diese ehrliche Haut, ziemlich abgemeldet, die Neunziger brachten dann den ganz großen Erfolg. Das alles ist aber eher ein Hintergrundrauschen, "Wahnsinn" erzählt vielmehr die Geschichte von vier Paaren, jungen und alten, die allesamt mit dem Alltag ringen, und schon das ist im Musical selten. Tobi will Rockstar werden, was sein Vater Karsten irre findet, denn der hat's auch mal versucht. Barkeeper Wolf lunger in seinem heruntergekommen Laden herum und träumt von der Frau, die er vor 25 Jahren im Süden zurück gelassen hat. Peter ist Fernfahrer, nie zu Hause, und muss um seine frustrierte Frau kämpfen, was ihn 22 Tonnen tiefgefrorene Scampis und sein Speditionsunternehmen kostet.

Autoreifen, Gymnastikbälle, Biene Maja

Absurd, na klar, aber nicht so absurd, dass es mit dem Malocher-Dasein nichts mehr zu tun hätte. Regisseur Gil Mehmert, selbst Westfale, und sein Choreograph Simon Eichenberger inszenieren das rasant, aber nicht hektisch, farbenfroh, aber nicht kitschig, witzig aber nicht peinlich. Herrlich, die Ballette mit Autoreifen und Yoga-Bällen, fantasievoll die blitzschnellen Umbauten vom Schlafzimmer zum Lkw, von der Bar zum Hauseingang, vom Flugzeug zum Selbsterfahrungsparadies, und dazwischen immer wieder Rückblenden in die Flower-Power-Siebziger und ein Abstecher auf die Wiese mit der Biene Maja.

Zu "Wahnsinn" waren alle auf den Beinen

Das ist handwerklich gekonnt gemacht, wenn auch etwas sparsam ausgeleuchtet und tontechnisch nicht ganz perfekt ausbalanciert, nach der Pause allerdings wesentlich besser als vorher. Klar, bei Wolfgang Petry denken die meisten an Freundschaftsbänder, Haarmatte und Hölle, Hölle, Hölle, aber der Wiesn-Hit hat in Bayern womöglich auch zu einem riesengroßen Missverständnis geführt. Petry ist gerade kein älterer Mickie Krause, der jede Malle-Party in Schwung bringt, sondern er besang auch die proletarische Ruhrpott-Welt, die harten Kerle, die auf Kohle geboren wurden, eine Welt, die von Bayern nun wirklich Lichtjahre entfernt ist. Kein Wunder also, dass zum Hit "Wahnsinn" die Münchener Zuschauer zwar sofort auf den Beinen waren, aber eben auch nur da. In Duisburg, bei der Uraufführung im Februar, mussten sie stärkere Lautsprecher beschaffen, weil das Publikum textsicher alle Lieder anstimmte.

Sehnsucht nach der Ruhr

Zum Happy-End haben sich die vier Paare auf der Bühne natürlich gefunden, die Holzfäller in ihren karierten Hemden feiern ihr großes Ho Chi Kaka Ho-Fest, der rosa Flamingo reckt seinen Hals und das Abendrot legt sich über die Ferienlandschaft. Aber es bleibt eben auch klar: Der Ruhrpott ist anders, und dahin sehnen sich letztlich alle zurück, nach dem echten, rauen Leben. Unter den Sängern waren Detlef Leistenschneider, Mischa Mang und Carina Sandhaus stimmlich besonders gut drauf, aber auch alle anderen machte ihre Sache mehr als achtbar. Und Wolfgang Petry? Der versprach, entspannt zu bleiben und denkt nicht an ein Comeback. Was Schöneres als einen Abend mit Freunden gebe es sowieso nicht. Der Mann ist sympathisch.

Bis 3. Juni 2018 im Deutschen Theater München