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Marina Abramovic

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The Cleaner: Marina-Abramovic-Retrospektive in Bonn

Sie hat mit ihrer Radikalität die Performancekunst wie kaum eine andere geprägt: Marina Abramovic. Eine Retrospektive unter dem Titel "The Cleaner" in der Bonner Bundeskunsthalle zeichnet jetzt den Weg der Künstlerin nach. Von Ulrike Gondorf

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Die Künstlerin hat eine Hand mit gespreizten Fingern auf eine Tischplatte gelegt. Mit der anderen sticht sie mit einem gefährlich großen Messer rasend schnell in die Zwischenräume. Sie trifft nicht immer, wie die Blutspuren auf dem Tisch deutlich verraten. „Rhythm Ten“ heißt diese erste Performance, mit der die Künstlerin Marina Abramovic 1973 an die Öffentlichkeit getreten ist. Die Fotodokumentation und die Klangkulisse erlebt man am Anfang der Bonner Retrospektive. Performance war damals eine ziemlich neue Kunstrichtung, mit der auch Größen wie Bruce Nauman und Joseph Beuys experimentierten, aber niemand so radikal und schockierend wie die damals 26-jährige Serbin, erklärt Kuratorin Susanne Kleine: Sie hat sehr früh ihren Körper als Instrument benutzt, das tut einem selber fast weh, denn das muss man als Besucher auch aushalten können. Sie testet aus, bis wohin kann ich gehen, wo kann ich immer weiter Grenzen überschreiten –und das dann im Dialog mit dem Besucher anbieten.

Kompromisslose Konfrontation

Die ersten Kapitel in der Ausstellung sind Dokumentationen in Fotos, Videos und Tondokumenten. Marina Abramovic tanzt, bis sie umfällt, schreit, bis sie keine Stimme mehr hat und liefert sich rückhaltlos und bis zur Lebensgefahr einer Situation und ihrem Publikum aus. „Rhythm Zero“ heißt die spektakuläre Performance, mit der sie 1977 diese frühe Phase abschließt. In Bonn kann man die Requisiten ausgebreitet sehen, so wie es damals in der Galerie war. Auf einem Tisch liegen 72 Gegenstände: harmlose wie Zuckerstücke oder Mullbinden, aber auch Scheren, Messer, eine Pistole. Abramovic forderte die Besucher auf, mit ihr und diesen Gegenständen zu machen, was sie wollten. Sie ertrug alles bewegungslos wie eine Puppe, auch als man begann, ihre Kleider zu zerschneiden und sie auszuziehen. Für Susanne Kleine ist es bahnbrechend, wie Marina Abramovic mit solchen Aktionen die Interaktion zwischen Kunst und Betrachter auf eine provozierende Weise bewusst gemacht hat: Wir schauen nicht mehr einfach ein Bild an und gehen zum nächsten, sondern wir sind einbezogen, wie werden herausgefordert, wir müssen Schamgrenzen überwinden, und diesen Dialog mit dem Betrachter, den hat sie wirklich bahnbrechend verändert.

Re-Performance

Ende der 70er-Jahre beginnt die Partnerschaft von Marina Abramovic mit dem deutschen Künstler Ulay. Zwölf Jahre leben und arbeiten die beiden zusammen. Ihre erste gemeinsame Aktion kann man live sehen in der Bonner Ausstellung, als Re-Performance inszeniert mit zwei Darstellern. Wie damals die beiden Künstler stehen sie nackt in einem engen Türdurchgang. Wer ihn passieren will, muss sich zwischen den beiden hindurchdrängeln. Während der ganzen Laufzeit der Ausstellung wird es solche Live-Performances verschiedener Arbeiten von Marina Abramovic geben. Die Künstlerin setzt sich dafür ein, dass durch solche Neu-Inszenierungen auch immaterielle Werke der Performance-Kunst verfügbar bleiben können. In der Bonner Ausstellung ist sie zudem selbst präsent in einem Video-Interview, in dem sie ihre künstlerischen Grundsätze darlegt.

Spiritualität des Spätwerks

Einen immer wichtigeren Platz im Schaffen von Marina Abramovic nehmen Werke ein, die sie selbst von vornherein als Video-Installation konzipiert hat, nicht immer ist sie selbst dabei als Akteurin im Spiel. Und in ihren Live-Aktionen überlässt sie die zentrale Rolle mehr und mehr den Besuchern. Die letzte Abteilung der Bonner Schau besteht aus Installationen, die man selbst nach ihren schriftlichen Anweisungen benutzen, erfahren, erleben kann. Dabei geht es in diesen aktuellen Arbeiten von Marina Abramovic nicht mehr um Schock und Schmerz, in den Vordergrund tritt ein spirituelles, meditatives Element. In diese leicht esoterisch getönte Welt reinigender und klärender Erfahrung, die sich auch im Ausstellungstitel „The Cleaner“ ankündigt, wird ihr vielleicht nicht jeder folgen wollen. Der künstlerische Weg, den die Ausstellung nachzeichnet, führt trotzdem zu einer der spannendsten und profiliertesten Künstlerpersönlichkeiten unserer Zeit. Marina Abramovic zwingt uns kompromisslos, nicht nur ihr Werk, sondern immer auch uns selber anzusehen.