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Nebelhörer werden gedämpft

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Ruhrtriennale: Da wird der Stahl weich und das Holz splittert

Auch dicke Holzbohlen und massives Eisen geben nach, wenn der niederländische Künstler Joep van Lieshout sie traktieren lässt: Vor der Bochumer Jahrhunderthalle zeigte er einen Haufen Schrott als Sinnbild der Vergänglichkeit. Von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: Die Kultur am .

Wer schon immer mal wissen wollte, was passiert, wenn ein tonnenschweres Rammeisen auf einen Feuerlöscher, einen Computerbildschirm oder einen Fotokopierer knallt, der bekommt auf der Ruhrtriennale garantiert eine Antwort. Dort, direkt vor der Bochumer Jahrhunderthalle, hat der niederländische Künstler Joep van Lieshout in diesem Jahr einen Abbruch-Parcours eingerichtet, eine Spielwiese der Zerstörung. Allerlei kaputte und halb kaputte Geräte liegen herum:, Zersplitterte Holzbohlen, zerquetschter Stahl, zerdepperte Elektronik. Und dazwischen Bildschirme, auf denen zu sehen ist, wie das ganze Zeug demoliert wurde, unter dem Motto "The Good, the Bad and the Ugly".


Jetzt wuchert das Unkraut


Joep van Lieshout und seine Mitarbeiter interessiert seit langem der Kreislauf der Materie, angefangen von der menschlichen Verdauung bis hin zum industriellen Werden und Vergehen. Ein Thema, dass natürlich hierher passt, in diese Industriebrachen im Ruhrgebiet, wo früher geschuftet wurde und jetzt das Unkraut wuchert. All die glänzenden Produkte der Industrie, wie schnell sind sie Sondermüll, in dem nach Edelmetallen und seltenen Erden gewühlt wird? Eine beklemmende Installation also, die da die Festspielgäste begrüßt.


Fünf Nebelhörner sind zu laut


Der Kompressor rattert, er steht in einer mysteriösen Werkstatt, auch die wurde von Lieshout eingerichtet. Drehbänke, Chemikalien, Schmierstoffe: Was wird hier wohl produziert? Auf jeden Fall Töne, denn der Kompressor bläst seine Luft in fünf riesige Nebelhörner, die das Gelände beschallen. So laut, dass Techniker zum Auftakt der Ruhrtriennale Kissen in die Schalltrichter stopften, damit die Zuschauer nicht verschreckt werden, schließlich kamen sie zur Premiere von Claude Debussys Oper "Pelléas et Melisande", einem ganz besonders feinnervigen, anspielungsreichen Werk,.


Sightseeing zu Autowaschanlagen


Zu den erfolgreichsten Produktionen der Ruhrtriennale gehörten die "Truck Tracks"-Touren. Ein Lkw fuhr Zuschauer durch das Ruhrgebiet, blieb an so banalen Orten wie Autowaschanlagen, Bahnhöfen oder Möbelhaus-Parkplätzen stehen, öffnete eine Panorama-Scheibe und zeigte den Mitfahrern die Schauplätze unterlegt von elegischer Musik und künstlerischen Texten. Die Zuschauer rissen sich um die wenigen Plätze auf dem Truck. Stefan Kaegi von der Theatertruppe Rimini Protokoll konnte mehr als zufrieden sein:


Ja, es ist tatsächlich eine Einladung gewesen, vom eigenen Alltag, von der eigenen Umgebung einen Moment lang einen Schritt zurückzutreten. Auch vom eigenen Leben, und es von außen anzugucken, eben als wäre es ein Film. Man sagt ja, dass Leben fühlt sich an wie ein Film, wenn etwas wie in der Ferne abläuft. Aber Godard hat auch gesagt, dass man alles, was man im Film erlebt hat, erst recht empfinden kann.


Melancholische Reise durch das Ruhrgebiet


Jetzt, zum Ende der "Truck-Tracks"-Touren, wurde eine Videoinstallation präsentiert. Auf sieben Leinwänden in der ehemaligen Kohlemischanlage der Kokerei Zollverein in Essen können die Fahrten durchs Ruhrgebiet noch einmal mitverfolgt werden. Eine denkbar melancholische Reise.


Ich glaube, dass hat mit dieser Distanzierung zu tun, dass man eben nicht eingreift in diese Welt da draußen, dass man Leute sieht in ihrem täglichen Gehetztsein, in ihrem Warten, oder was sie eben tun im öffentlichen Raum. Und wenn das plötzlich auf so einen theatralen Sockel gehoben wird, wenn das da steht, mit einer emotional aufgeladenen filmischen Musik dazu, dann hat man plötzlich das Gefühl, einen Ken Loach-Film zu gucken, so ein bisschen. - Stefan Kaegi


Der Lkw fährt jetzt übrigens Zuschauer durch Moskau, auch nicht gerade ein liebliches Städtchen, sondern, wie das Ruhrgebiet, ein riesenhafter Moloch aus Brachen, Verkehrsadern und Industrie-Parks. Stefan Kaegi selbst plant gerade ein Projekt mit Meeres-Quallen in Barcelona - hört sich so abgedreht an, dass es jederzeit auch auf der Ruhrtriennale Erfolg haben könnte.