Bildrechte: Anna-Maria Löffelberger/Salzburger Landestheater

Medea und Jason

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Prometheus lässt das Orakeln nicht: "Dionysien" in Salzburg

Fünf Tage dauerten im antiken Athen die Festspiele zu Ehren von Dionysos: Ein Theaterrausch für den Gott des Weines und der Freude! Das Landestheater Salzburg wagte eine moderne Version und war damit erfolgreich. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Ob es bei den alten Griechen so weihevoll zuging, wie es heutige Altertumswissenschaftler gelegentlich behaupten, das sei dahin gestellt. Vermutlich wurden auch bei den "Dionysien", den großen Athener Theaterfestspielen, Pistazien verkauft, Geschäfte abgewickelt, Liebesdamen engagiert und Regisseure beschimpft. Allerdings hatte das Theater damals tatsächlich noch was vom Gottesdienst, war ein gewaltiges, fünftägiges Ritual zu Ehren des Dionysos, des Gottes der Ekstase, der Leidenschaft, des Rausches, der Freude. Und genau an diese ferne Tradition wollte Carl-Philip von Maldeghem anknüpfen, der Intendant des Salzburger Landestheaters.

Hungrig wie nach dem Trojanischen Krieg

Aber kann das funktionieren: "Dionysien" für die Menschen von heute? Das Pausen- Büfett mit griechischen Häppchen war jedenfalls so umlagert, als ob die Zuschauer soeben einer antiken Hungersnot oder dem Trojanischen Krieg entkommen waren. Und auch auf ein Vorspiel in der Stadt wollte der Intendant nicht verzichten.

Naja, wir haben die Stadt in Bewegung gebracht. Wir haben einen Festumzug gemacht vom Theater in die Felsenreitschule. Damals haben die Griechen das Dionysos-Heiligtum aus dem Tempel geholt und in einem Festzug in das Dionysos-Theater gebracht. Das haben wir gemacht, die Staatsbrücke war gesperrt, die Polizei hat uns begleitet, die brasilianischen Tänzer haben voraus getanzt, und es war schon große Stimmung in der Stadt. Das war der Auftakt.

Kräftemessen der ganzen Stadt

Drei Tragödien und eine Komödie wurden in Athen täglich nacheinander aufgeführt, im Wettbewerb zueinander, die Liste der damaligen Sieger kann jeder im Internet nachschlagen. Ein Zeremoniell, ein Kräftemessen der ganzen Stadt. In Salzburg wetteiferten lediglich Schauspieler, Balletttänzer und Sänger des Landestheaters miteinander. Und ein griechisches Amphitheater gab es natürlich auch nicht, sondern die allerdings archaische, großformatige Felsenreitschule.

Näher dran an einen antiken Theaterraum kommt man in Salzburg nicht. Diese Felsenreitschule hat eine große, archaische Kraft und es ist eine Freude, diesen Raum vor allem auch mit allen vier Sparten zu bespielen. Das ist glaube ich eine Stärke des Abends, dass wir nicht nur drei Tragödien und eine Komödie machen, sondern dass alle Sparten an den Start gehen und sich auf diese Weise miteinander messen. - Carl-Philip von Maldeghem

Anachronistische Großtaten

Carl-Philip von Maldeghem ist ein großer Fan von seinem Regiekollegen Peter Stein, dem Mann, der Goethes "Faust" an zwei Tagen ungekürzt gezeigt hat, der einen zwölfstündigen "Wallenstein" von Schiller auf die Bühne wuchtete, alles anachronistische Großtaten, über die sich Kritiker eher lustig machten. Aus der Zeit gefallen sind auch die "Dionysien", schon deshalb, weil die heutigen Zuschauer nicht mehr an Dionysos glauben. Und doch war das Großereignis klug vorbereitet, die Stücke sorgsam ausgewählt - schon deshalb, weil sämtliche antiken Stoffe in modernen Fassungen präsentiert wurden, also gar nicht erst versucht wurde, mit den musealen sommerlichen Freilichtproduktionen in den atemberaubenden Amphitheatern von Epidauros oder Syrakus zu konkurrieren. Stattdessen ein Schauspiel von John von Düffel nach Aischylos, ein Oratorium von Igor Strawinsky und ein sehr knapper Aristophanes.

Es sind alles Stoffe, in denen ein Mensch in Konflikt mit dem Rest der Gesellschaft gerät. Also der Einzelne und die Polis, die Gemeinschaft der Stadt, das ist der Widerspruch, der sich in jedem einzelnen Stück entwickelt. Prometheus bäumt sich auf gegen den Gottvater Zeus, Medea schießt mit ihren Aktionen auch über jedes Maß hinaus, ob sie damit gerechtigt ist oder nicht. Bei Ödipus genau das gleiche. Da tritt ein Politiker an und sagt: Jetzt rette ich die Welt, und dann stellt sich heraus: Er war das Problem, und das kann er nicht selbst lösen. - Carl-Philip von Maldeghem

Ödipus singt lateinisch

Karg ist die Spielfläche in der Felsenreitschule: Prometheus, der den Menschen das Feuer gebracht hat und sich damit gegen seine Götterkollegen auflehnte, hängt an einer riesigen, graumetallischen Wand. Medea, die aus Eifersucht ihre Kinder ermordet, tanzt vor einem silbrig-eiskalten Esszimmer, Ödipus singt lateinisch und verirrt sich im Stahlgestänge, der attische Weinbauer Trygaios reitet in der abschließenden Aristophanes-Komödie "Der Frieden" auf einem Mistkäfer, der sehr an ein fast gleichnamiges Erfolgs-Auto vergangener Tage erinnert, in den Olymp, um dort Frieden zu stiften.

Brasilianische Tänzer begeistern

Es sind sämtlich große, aber keineswegs opulente, sondern im Gegenteil meditative Bilder, die in der Salzburger Felsenreitschule gelingen. Carl-Philip von Maldeghem inszenierte insofern "antikisch", setzte auch eine Flug-Maschine ein, wie sie bei den alten Griechen üblich gewesen sein soll. Choreograph Reginaldo Oliveira zeigte mit seiner "Medea"-Fassung ein Handlungsballett, wie es längst außer Mode gekommen ist, leider, denn das Publikum war von der schieren Präsenz der Solistin Márcia Jacqueline, der ersten Tänzerin am Theater von Rio de Janeiro, und ihrem Partner Flavio Salamanka begeistert. Höhepunkt war natürlich Strawinskys groß besetztes Oratorium "Oedipus Rex". Ja, so können die "Dionysien" tatsächlich funktionieren, ohne in Satire abzugleiten, ohne Pomp und Spektakel, sondern mit tiefem Ernst und derben Spaß. Ein gelungenes Experiment in Salzburg, am Ende herzlicher, ja ausgelassener Beifall.


Wieder am 29. Oktober, 3., 5. und 11. November, sowie weitere Termine.