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Schriftstellerin Esther Kinsky, Preis der Leipziger Buchmesse 2018

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Preis der Leipziger Buchmesse: Auszeichnung für Esther Kinsky

Ein stilles Buch im Rampenlicht der Aufmerksamkeit: Die Berliner Autorin Esther Kinsky erhält den Preis der Leipziger Buchmesse für ihren Roman "Hain". Die Jury lobte das Buch als eine Schule der Wahrnehmung im Medium der Sprache.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Eine Frau, die ihren Lebensgefährten verloren hat und sich als Trauernde nach Italien aufmacht: Das ist der Rahmen in Esther Kinskys Roman "Hain". Was darin beschrieben wird, ist aber keine klassische Reise in ein Land, "wo die Zitronen blühen", sondern in ein winterliches Hinterland. Diese führt die Ich-Erzählerin zugleich in die eigene Kindheit zurück.

Das Privileg der Literatur

Mit "Hain" zeichnet die Jury ein stilles, ereignisarmes Buch aus, das nicht auf die Wirkung eines Plots setzt, sondern eine Schule der Wahrnehmung ist. Dass das in unseren bildersatten Zeiten gerade im Medium der Sprache geschieht, wurde bei der Preisverleihung hervorgehoben: Mit der "ganzen Bescheidenheit von 26 Buchstaben ein Sehen zu feiern, das erst im Schreiben Gestalt annimmt", sei das unvergleichliche Privileg der Literatur, so Juror Gregor Dotzauer in der Begründung zur Preisvergabe. Und Esther Kinsky nutze dieses Privileg mit Bravour. Als ferner Ahne einer solchen Geländewahrnehmung wurde Adalbert Stifter, als naher Bruder Peter Handke genannt.

"In der Reizreduktion zeigt sich jedes noch so unscheinbare Detail mit geradezu übersinnlicher Genauigkeit; die Tonlosigkeit steigert sich zum Gesang der Dinge. Im Ähnlichen entdeckt sie das immer Andere. Man wird der unspektakulären Melodie dieses Buches und der rhythmischen Präzision seiner Sätze nur gerecht, wenn man es langsam liest: mit einer Geduld, die nichts erwartet, und gerade deshalb mit einem Staunen über die Fülle seiner Einzelheiten belohnt wird. Ausgerechnet an einem Tag wie diesem zu sagen, dass Esther Kinsky vielleicht kein Buch für jeden geschrieben hat, mag wie Selbstsabotage klingen. Doch es will das genaue Gegenteil. Denn wenn es an 'Hain' etwas besonders zu rühmen gilt, dann ist es der Versuch, einen Weltzugang zu schaffen, der so keiner anderen Kunst und keiner Wissenschaft gelingt." Aus der Begründung der Jury

Esther Kinsky, 1956 in Engelskirchen geboren, lebt und arbeitet in Berlin. Ihr Werk umfasst Übersetzungen aus dem Polnischen, Russischen und Englischen ebenso wie Lyrik, Essays und Erzählprosa. Bereits ihr 2014 erschienener Roman "Am Fluss" unternahm eine literarische Landschaftsbegehung: In neun Etappen eines Spaziergangs in der Gegend um den River Lea im Osten Londons durchwanderte Kinsky das Grenzgebiet zwischen Stadt und Land, Gegenwart und Erinnerung.

Auszeichnungen für Sachbuch und Übersetzung

In der Kategorie Sachbuch wurde Karl Schlögel für seinen umfangreichen Band "Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt" ausgezeichnet. In seiner Dankesrede äußerte der Historiker die Hoffnung, sein Buch über das sowjetische Jahrhundert der russischen Geschichte etwas beitragen könne zum Verständnis der russischen Gegenwart, so Schlögel. Genau diese Leistung bescheinigte die Jury ihm in ihrer Begründung: Sie nannte sein Buch "meisterhaft erzählte" Geschichtsschreibung – und den Sowjethistoriker einen großen Schriftsteller: "Schlögel durchdringt Tiefenschichten einer Epoche und entwickelt dabei starke sinnliche Anschaulichkeit."

In der Sparte Übersetzung kürte die Jury zwei Preisträger: Sabine Stöhr und Juri Durkot wurden für ihre gemeinsame Übertragung des ukrainischen Romans "Internat" von Serhij Zhadan ausgezeichnet. Das Buch erzählt vom Krieg im äußersten Osten der Ukraine. Aus den vielfältigen Tonlagen des Originals werde im Deutschen ein glänzendes Pendant, lobte die Jury: "Lebendiger als in diesem Roman kann man vom Krieg nicht erzählen, lebendiger kann eine Übersetzung nicht sein."

Der mit insgesamt 60.000 Euro dotierte Preis der Leipziger Buchmesse wird seit 2005 vergeben. 2017 wurde Natascha Wodin für ihren Roman "Sie kam aus Mariupol" über das Leben ihrer Mutter ausgezeichnet, zu den Preisträgerinnen und Preisträgern vergangener Jahre gehören Terézia Mora, Clemens Meyer, Clemens Setz, Saša Stanišić und der Lyriker Jan Wagner.