Erhält nun lebenslange Verletztenrente: Richard Kick vom Betroffenenbeirat der Erzdiözese München und Freising
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Erhält nun lebenslange Verletztenrente: Richard Kick vom Betroffenenbeirat der Erzdiözese München und Freising

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Opfer von Missbrauch: Versicherung zahlt Entschädigungen

Es kann als "Arbeitsunfall" gelten, wenn etwa ein Ministrant bei seiner Tätigkeit missbraucht wurde. Das gilt für alle minderjährigen Ehrenamtlichen in beiden Kirchen. 400 Fälle sind bereits bei der Berufsgenossenschaft VBG gemeldet worden.

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Der Missbrauch in der Kirche hat Lebensläufe zertrümmert. Richard Kick war acht Jahre alt und Messdiener als er vom damaligen Kaplan seiner Pfarrei über Jahre sexuell missbraucht wurde. Heute kämpft er um Entschädigung für sich und andere Betroffene. Als einer der Ersten hat er es jetzt schwarz auf weiß: Sein Missbrauch ist ein Fall für die Unfallversicherung – was Richard Kick selbst überraschte: "Aber in der Definition heißt es, 'ein plötzlich von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis'. Und das ist es de facto gewesen."

Missbrauch ist ein Fall für die Unfallversicherung

Die Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG) ist der bundesweit größte Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Im April 2022 informierte sie beide großen Kirchen, dass Kinder und Jugendliche im Rahmen eines kirchlichen Ehrenamtes gegen Missbrauch versichert sind. Das heißt, wenn sie im Kirchenchor, als Messdiener, Gruppenleiter oder bei kirchlichen Tätigkeiten als Konfirmandinnen Opfer von Missbrauch werden, können sie von der VBG finanzielle Hilfen beziehen. Das gilt auch für verjährte Fälle. Auslöser für den Aufruf sich zu melden, war das Münchner Missbrauchsgutachten.

"Die VGB ist dazu da, die Gesundheit wieder herzustellen," sagt VBG-Sprecher Pierre Stage. "In Fällen, in denen die Folgen der sexualisierten Gewalt so erheblich sind, dass sie sich dauerhaft auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, kann auch ein Anspruch auf eine Rente bestehen."

Lebenslange Verletztenrente für Opfer von Missbrauch

Richard Kick hat seinen Missbrauchsfall selbst bei der VBG gemeldet. Ein psychiatrischer Gutachter stellte fest: Aufgrund des Missbrauchs ist er seit seinem 14. Lebensjahr zu 80 Prozent erwerbsgemindert. Er erhält nun eine lebenslange monatliche Verletztenrente, die über 1000 Euro beträgt.

"Wenn ein Psychiater bestätigt, dass der Missbrauch Ursache für das schwierige Leben ist, ist das schon eine unglaubliche Erleichterung für einen Betroffenen," sagt Richard Kick. "Dass diese Menschen, die ihr Leben lang unglaublich schwierige Zeiten hatten, finanzielle Unterstützung erhalten, ist extrem wichtig. Denn der größte Teil der Betroffenen braucht dringend Geld, weil teilweise berufliche Karrieren abgebrochen werden mussten."

Versicherung zahlt bis zu vier Jahre rückwirkend

Bis zu vier Jahre rückwirkend ab Meldung zahlt die VBG Verletzten-Rente. Richard Kick hat deshalb nach der Prüfung seines Falles durch die VBG zusätzlich eine hohe fünfstellige Summe erhalten, weit höher als das, was die Bistümer bisher an freiwilligen Anerkennungsleistungen zahlen. Diese liegen in der Regel bei höchstens 50.000 Euro. Die Tatsache, dass die gesetzliche Unfallversicherung Betroffenen ihren Schaden gutachterlich attestiert, hält der Jurist und Mitverfasser des Münchner Missbrauchsgutachtens, Ulrich Wastl, für ein bedeutsames Signal. "Meiner Meinung nach, hat die VBG hier einen Meilenstein gesetzt, der dazu führt, dass man sich über die wahren Schäden, die Betroffenen entstanden sind, endlich im Klaren ist."

Missbrauchsgutachten wie das im Erzbistum München und Freising haben gezeigt, dass die Kirche teils mitverantwortlich für das Missbrauchsgeschehen war, weil sie Täter deckte. Warum muss also jetzt die Versichertengemeinschaft zahlen? Tatsächlich behält sich die VBG vor, Regressansprüche gegenüber den Kirchen geltend zu machen. "Der Gesetzgeber gibt uns die Möglichkeit, in bestimmten Fällen Regress zu nehmen," sagt Pierre Stage von der VBG. "Ob das hier möglich ist, überprüfen wir. Das ist ein zivilrechtlicher Weg, da müssen wir den Nachweis erbringen, dass diverse Voraussetzungen erfüllt sind. Das ist nicht immer einfach."

Werden die Kirchen für die Opfer von sexuellem Missbrauch zur Kasse gebeten?

Richard Kick hat seinen Missbrauch bereits 2010 dem Erzbistum München und Freising gemeldet. Hätten die Verantwortlichen seinen Fall deshalb der VBG nicht eher melden müssen? Ein Sprecher des Erzbistums antwortet auf diese Frage schriftlich: "Erst im Jahr 2022 [wurden] die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Unfallmeldungen von Seiten der Erzdiözese möglich und unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten zulässig waren." Ob die Kirchen letztlich für den Arbeitsunfall zahlen müssen, bleibt offen.

Bereits 400 Meldungen von Betroffenen aus beiden großen Kirchen sind derzeit bei der VBG eingegangen, davon seien 300 von den Kirchen gemeldet worden. Rund 100 Betroffene haben sich, wie Richard Kick, selbst bei der VBG gemeldet. Zahlen, die ihn weiter antreiben, sich für die Opfer des sexuellen Missbrauchs einzusetzen - und vor allem die finanziellen Möglichkeiten als Anerkennung des Leids transparent zu machen.

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