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Nelson Mandela

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Nelson Mandela, eine Jahrhundertfigur

Der 2013 gestorbene südafrikanische Freiheitskämpfer Nelson Mandela, der nach 27 Jahren politischer Gefangenschaft 1994 der erste schwarze Präsident seines Landes werden sollte, war eine zutiefst inspirierende Figur. Von Ronja Dittrich

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Das erste, was Sonwabile Ndamase bemerkte, war seine Haut. Dünn war sie, und sie atmete mehr als gewöhnlich. Nelson Mandela war gerade aus dem Gefängnis entlassen worden und konnte zum ersten Mal seit 27 Jahren wieder selbst über seine Kleidung bestimmen. Der Modedesigner kam in Mandelas Haus im Johannesburger Township Soweto. Maß nehmen: am Körper einer Legende.

"Im Gefängnis auf Robben Island musste er Steine klopfen. Seine Lunge war davon infiziert, was dazu führte dass er viel mehr schwitzte. Mir war klar: Für diesen Mann brauche ich Kleidung die ihm hilft, seine Beschwerden zu lindern."

Es ist ein warmer Februartag 1990, die Apartheidsregierung ist noch im Amt. Mandela kommt frei, weil der internationale Druck zu groß geworden war. Für die südafrikanische Regierung ist er noch immer ein Terrorist. Für Sonwabile, den zierlichen Schneider aus Johannesburg, ist er ein Held.

Sein Schneider erinnert sich

"Als ich seine Maße nahm, zitterte ich innerlich. Dieser große Mann: Ich war wie ein Kind im Süßigkeitenladen, so aufgeregt war ich. "

Ein paar Tage später kommt er wieder, bringt ein paar Stoffe mit, unter denen Mandelas Haut gut atmen kann. Viele davon einfarbig, klassisch europäisch. Das verbinden in Südafrika alle mit Macht – und Nelson Mandela soll immerhin Präsident werden. Doch der greift sofort nach etwas anderem: ein farbiger Stoff mit afrikanischen Mustern. Wenn Sonwabile heute von diesem Moment erzählt, imitiert er den warmen tiefen Klang Nelson Mandelas:

"Diesen Stoff: Den will ich. Damit wird man mich ab jetzt anders betrachten."

Zusammen kreieren sie Mandelas Markenzeichen: Gerade geschnittene, weit sitzende Hemden mit afrikanischen Mustern. Mandela wird nichts mehr Anderes tragen. Kein Sakko, keine Krawatte - keine klassischen Zeichen der Macht. Selbst wenn er die Queen besucht.

"Das hatte viel mit Stolz zu tun: Er hat selbstbewusst mit einer internationalen Norm gebrochen und der Welt gesagt: Wir sind Afrikaner, und das ist unser Stil. Wir haben eine eigene Art, Dinge zu tun!"

Mandelas Gefängnis-Lektüre

Politik mit Mitteln, die weit über die Politik hinausreichen. Das war Mandelas Stärke. Wie in einem Kokon sitzt er in seiner Gefängniszelle und analysiert von hier aus jahrzehntelang die Kämpfe seines Kontinents. Hatte er vor seiner Verhaftung im Untergrund noch „Vom Kriege“ des preußischen Majors Carl von Clausewitz gelesen, so liest er nun Sophokles „Antigone“: Ein Lehrstück über Widerstand und Hybris. Er, der Gefängnisinsasse Nummer 466/64, beobachtet wie Länder wie Zimbabwe ins wirtschaftliche Chaos fallen, als sie die ehemaligen Kolonialherren aus dem Land werfen. Er beschließt: Südafrika braucht zum Überleben keine Rache, sondern Verständigung. Eine menschliche Überzeugung – und eine strategische. Und ihm wird klar, dass er dafür die Menschen nicht politisch sondern vor allem emotional erreichen muss. Um zu verstehen, wie ihm das gelang muss man Rory Steyn treffen. (Der hochgewachsene, kräftige Nachfahre burisch-holländischer Einwanderer betreibt heute eine große Sicherheitsfirma.) Bis in die 90-er Jahre machte er Karriere als Offizier der Apartheids-Polizei:

"Als Mandela entlassen wurde, hielt ich ihn für einen Terroristen. Ich fand, er hätte eigentlich gehängt werden sollen. Für mich als Polizist war er der Feind."

Vier Jahre später wird Nelson Mandela der erste schwarze Präsident Südafrikas. Polizist Rory hat bei der Amtseinführung Dienst. Beobachtet, wie Mandela plötzlich die Regierungschefs warten lässt und auf einen Chef der alten Apartheid-Polizei zusteuert.

"Die Augen dieses Polizeioberst werden immer größer. Da bleibt Präsident Mandela vor ihm stehen, streckt seine Hand aus und sagt: "Oberst, Ich bin jetzt der Präsident dieses Landes. Und ich will, dass Sie wissen: Von jetzt an gibt es kein "uns" und "euch" mehr – von heute an sind Sie die Polizei für uns alle." Und dieser alte Polizeioberst, an dessen Gesicht man ablesen konnte dass er schon alles miterlebt hatte – der fing an zu weinen. Und ich hab mich gefragt: Hab ich vielleicht geirrt?"

Was dann passiert, ist symbolisch für Nelson Mandelas Politikstil: Kurz nach seiner Amtseinführung beruft er Rory Steyn in sein persönliches Bodyguard-Team. Der weiße Ex-Apartheid-Cop an der Seite von Freiheitskämpfern, die er zuvor bekämpfte. Dem ehemaligen Feind sein Leben anvertrauen: So wirbt Mandela für seine Politik der Verständigung. Das Spiel mit Zeichen beherrscht er wie kaum ein Zweiter. So hat er Südafrika vor dem Bürgerkrieg gerettet – in einem bunten Hemd, ohne Sakko. Morgen wäre er hundert Jahre geworden.