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TULLY, Charlize Theron, 2018

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Mutter im Dauereinsatz: Jason Reitmans Film "Tully"

"Tully" - eine witzige und kluge Familiengeschichte über den erschöpfenden Alltag einer Mutter im Dauereinsatz - mit zwei Kindern und einem ewig brüllenden Nachzögling. Aber eine märchenhaft hippe Mary-Poppins-Nanny rettet sie. Von Moritz Holfelder

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Marlo läuft. Sie läuft gegen ihre Müdigkeit an. Gegen ihr Leben. Gegen sich selbst. Und gegen alle anderen. Marlo ist Anfang vierzig, sie lebt mit einem netten, aber ziemlich selbstbezogenen Mann und zwei Kindern in einem Vorort von New York. Sie ist aus dem Gröbsten raus – der Sohn und die Tochter gehen zur Schule. Doch dann ist Marlo nochmal schwanger geworden. Mia, das Baby, erweist sich als kreischende Tyrannin – und Marlo wird bald zur schlaflosen Magd im Dauereinsatz, die Tag und Nacht Milch bereit zu halten hat. Also läuft sie. Vielleicht hilft das. Auf dem Waldweg wird Marlo von einer jungen Frau überholt. Das fordert sie heraus. Sie läuft schneller, und bricht nach ein paar Metern zusammen, das T-Shirt getränkt von ausströmender Milch.

Theron überzeugt als dreifache Mutter

Charlize Theron hat gut zwanzig Kilo zugenommen für die Figur der Marlo. Sie verzichtete auf Make-up, wie vor 15 Jahren, als sie die ebenfalls übergewichtige Serienmörderin Aileen Wuornos spielte und als „Monster“, so der Filmtitel, einen Oscar gewann. Seitdem hat Theron kaum mehr überzeugt. Sie war 2015 als schlechteste Schauspielerin für die Goldene Himbeere nominiert, beeindruckte im selben Jahr immerhin als kahlköpfige Kriegerin Furiosa in der Fortsetzung von „Mad Max“, aber das war es dann.

Die dreifache Mutter Marlo ist jetzt ihre beste Rolle seit langem. Was auch am überzeugenden Drehbuch von Oscarpreisträgerin Diablo Cody liegt, die diese Frau so schonungslos wie berührend zeichnet, von der zärtlichen Spötterin über das schreiende Elend bis zum selbstquälerischen Muttermonster.

Nanny für die Nacht

Cody hat die Geschichte geschrieben, nachdem sie selbst das dritte Mal Mutter geworden war: "Ich war damals sehr fasziniert von der Tatsache, dass es Kindermädchen auch für die Nacht gibt. Als Landei aus Illinois kannte ich das nicht. Dann kam ich nach Los Angeles und lernte dort Mütter kennen, die jemanden engagierten, der nachts im Haus schläft und sich um das Baby kümmert. Ich empfand das als so irritierend wie brillant. Aber ich widerstand, bei meinem ersten wie bei meinem zweiten Kind. Beim dritten war es dann so weit. Ich weiß noch, wie ich mich in diese junge Frau, die als meine Retterin in unser Haus kam, verliebte. Mit ihrer Hilfe verlor ich nicht den Kopf. Das war der Ausgangspunkt für diesen Film."

Rettung mit Witz

Bei Marlo ist es die titelgebende „Tully“, die lebensrettend interveniert, eine märchenhaft hippe Mary Poppins, die die erschöpfende Realität der Mutterschaft vom ersten Moment an mit Witz, Seele und abendlichen Gesprächen erträglich macht.

Regisseur Jason Reitman und Drehbuchautorin Diablo Cody feierten ihren ersten gemeinsamen Erfolg 2007 mit „Juno“, einer Tragikomödie, in der es um eine 16jährige geht, die schwanger wird. Einen Oscar gab es damals und viele weitere Preise. „Tully“ ist jetzt die dritte Zusammenarbeit der beiden – und ihr bester Film seit „Juno“. Eine witzige und kluge Familiengeschichte, die eine schöne Balance findet zwischen realistischer Alltags-Schilderung und einem weiblichen Buddy-Movie. Im amerikanischen Original klingt das noch frecher und zärtlicher als in der deutschen Synchronisation.