Akte X
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Wie Gillian Anderson in "Akte X" die Serienlandschaft veränderte

"Akte X" war ihr Durchbruch. Mit ihrer Rolle als Agentin Dana Scully veränderte Gillian Anderson Fernsehserien und sogar die Wissenschaft: Seither gibt es den "Scully Effekt". Eine Wertschätzung zum 50. Geburtstag von Schauspielerin Gillian Anderson.

Mit strengem Blick, ihre roten Haare ordentlich geföhnt und die schmale Statur in einen raumgreifenden Mantel gehüllt, bahnt sich die junge Agentin Dana Scully den Weg durch die Flure des FBI. Sie ist auf dem Weg zu ihrem neuen Partner Fox Mulder. Mit ihm zusammen soll sie die sogenannten X-Akten lösen, die unerklärlichen Fälle des FBI. Über elf Staffeln und mehr als 200 Folgen hinweg versuchen die beiden Agenten weltumspannende Verschwörungen aufzudecken und die kleinen Mysterien des amerikanischen Hinterlandes aufzuklären.

Wie Dana Scully starre Gender-Muster aufbrach

Schon in den ersten Minuten der Mysteryserie "Akte X" wird deutlich, wie neu – ja revolutionär – die Figur der FBI-Agentin Dana Scully Anfang der 90er Jahre ist: Dana Katherine Scully ist kein Sidekick, kein Mäuschen, keine Stichwortgeberin für den männlichen Protagonisten. Sie selbst ist die Protagonistin und deshalb lernen die Zuschauer Dana Scully auch zuerst kennen. Während ihr impulsiver und vom Verlust seiner Schwester getriebener Partner Fox Mulder unerschütterlich an übersinnliche Kräfte glaubt, sucht sie, die skeptische Physikerin und Medizinerin, die Antworten im Labor.

Diese Rollenverteilung stellte eine Umkehr von traditionell verstandenen Geschlechtereigenschaften dar. Denn die Rolle des hinterfragenden überrationalen Wissenschaftlers war bis dahin eigentlich für Männer reserviert. So wie der Alien-gläubige und attraktive Agent Mulder vor "Akte X" vermutlich eher mit einer Frau besetzt worden wäre.

Ohne Gillian Anderson ist Scully heute nicht denkbar. Dabei entsprach die Schauspielerin so gar nicht den Vorstellungen der Produzenten, die sich eine blonde klassische Hollywoodschönheit an die Seite des brütenden Agenten Mulder wünschten. Doch Serienschöpfer Chris Carter setzte sich durch. Gillian Anderson machte Dana Scully genau zu dem Typ Frau, den Carter sich vorgestellt hatte: kühl, intelligent und eigenständig, nicht durch die Beziehung zu ihrem Partner definiert - wie die junge Agentin Clarice Sterling im oscarprämierten Thriller "Das Schweigen der Lämmer". Scully ist eine Frau, die für das eintritt, an was sie glaubt. Sie war "eine Frau, die es im Fernsehen noch nicht gab und die, wie Fanreaktionen bald beweisen würden, ein dringend benötigtes Vorbild wurde, für Frauen jeden Alters, die sich bis dahin ganz einfach nicht repräsentiert sahen," wie Gillian Anderson sich Anfang 2018 bei der Enthüllung ihres Sterns auf dem Walk of Fame erinnert.

Fiktive Charaktere mit sehr reellem Einfluss

Bereits kurz nach Serienstart schrieben ihr Frauen, sich Dank Scully in männlich-dominierte, technische und naturwissenschaftliche Berufe gewagt zu haben. Davon beeindruckt, wollte die wissenschaftliche Beraterin der Serie, die Biologin Dr. Anne Simon, Mitte der 90er den Effekt von Scully auf die Studienwahl in einer ihrer Vorlesungen testen: Über die Hälfte ihrer 500 Studenten gab an, dass die FBI-Agentin ein Vorbild für sie gewesen sei. Ende der 90er Jahre stieg der Anteil an weiblichen Studenten in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern in den USA stark an.

Trotz dieser Beobachtungen wurde der sogenannte "Scully Effekt" erst 2018 mit einer Studie genauer untersucht. Das Geena Davis Institut für Gender in Media befragte zusammen mit einer Kommunikationsagentur und dem Akte X-Sender FOX insgesamt 2.000 Frauen zwischen 25 und 39 Jahren zur Bedeutung der Figur Dana Scully. Die Ergebnisse legen nahe, dass es den "Scully Effekt" tatsächlich gibt: Frauen, die regelmäßig Akte X schauten, entschieden sich demnach häufiger dazu eine Karriere im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich einzuschlagen als Frauen, die Akte X nicht oder selten gesehen hatten. Und zwei Drittel der befragten Frauen in MINT-Berufen bezeichneten Scully als Vorbild.

Wo ist die deutsche Dana Scully?

Die Schauspielerin Nina Kronjäger setzt sich bei der Initiative Pro Quote Film für Geschlechtergerechtigkeit vor und hinter der Kamera ein. Sie ist davon überzeugt, dass vielfältige Repräsentation auf dem Bildschirm einen Unterschied macht: "Was ich sehe, kann ich. Was ich nicht sehe, kann ich nicht. Wenn ich also sehe, dass eine Frau ganz selbstverständlich gemocht, akzeptiert und gleichwertig behandelt agieren kann, dann kann ich das auch." Doch gerade im deutschen Film und Fernsehen ist das Rollenspektrum für Frauen noch immer sehr eingeschränkt, wie zuletzt eine Untersuchung der Maria-Furtwängler-Stiftung und der Uni Rostock belegte: Nicht nur stellen Männer doppelt so häufig die Hauptfigur wie Frauen. Frauenfiguren bewegen sich auch viel öfter im Kontext von Familie und Beziehungen.

Obwohl Agentin Dana Scully in den USA schon in den 90ern viele Weichen gestellt hat, sind Frauenfiguren wie sie auch heute noch längst keine Selbstverständlichkeit. Das behindere sowohl Frauen als auch Männer, sagt die Schauspielerin Nina Kronjäger: "Wir sind eben sehr vielfältige Persönlichkeiten, auch die Männer. Die wollen ja auch nicht unbedingt über das eine definiert werden. Also die Zuschreibung von bestimmten Eigenschaften, das sehen wir wieder super an Scully, warum muss die immer so nach Geschlechtern aufgeteilt werden? Das ist ja tatsächlich diskriminierend." Der "Scully Effekt" zeigt, dass die Repräsentation von Frauen in Medien reale Konsequenzen haben kann, wenn es darum geht, welche Lebensentwürfe vorstellbar sind, wie Frauen sich selbst sehen – aber auch wie die Gesellschaft Frauen wahrnimmt. Umso wichtiger ist es, dass Filme und Serien möglichst viele verschiedene Identifikationsfiguren anbieten - für Frauen wie für Männer. Gillian Anderson hat das als Agentin Dana Scully eindrucksvoll bewiesen.