Bildrechte: Selbstportrait © stefan moses / Literaturhaus München in der Ausstellung "Blumenkinder"

Stefan Moses, Selbstporträt

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Fotograf der Deutschen: Zum Tod von Stefan Moses

Er reiste mit seinem mobilen Atelier, einem grauen Filzvorhang, durchs Land und porträtierte Menschen - und eine ganze Gesellschaft. Die Kunst des Stefan Moses war es, sein Gegenüber nicht bloßzustellen, sondern zu humanisieren. Von Julie Metzdorf

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Berlin 1963: Stefan Moses beobachtet einen Drehorgelspieler auf der Straße. Er bittet den Mann vor die Kulisse eines grauen Tuchs und separiert ihn damit von seiner Umgebung. Das Foto zeigt nichts als den Mann und die Drehorgel - die Idee des mobilen Ateliers ist geboren. In den folgenden Jahrzehnten reist Moses von Marktplatz zu Marktplatz und bittet Menschen unterschiedlichster Berufe vor sein großes graues Filztuch. Kohlenträger mit Brikettkasten, Parlamentsdiener im Frack, Rollmopspackerinnen mit Schürze und Kopftuch.

"Die haben sich halt gewundert, dass man so etwas macht, haben das auch als Theater genommen - sich so aber immer geschützt gefühlt. Das war ein Riesen-Filztuch, ich brauchte immer einen Helfer, der das mit aufgespannt hat. Das hat denen so eine Art Sicherheit gegeben: Links und rechts tobte ja der Verkehr oder Kinder spielten mit dem Ball, der dann manchmal auch reingefallen ist." Stefan Moses über seine Arbeit

Porträt einer Gesellschaft

Über die Jahre entstand mit diesem Panoptikum der Berufe und Menschen ein Porträt der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Ab 1989 kann Moses das Werk auf die gesamtdeutsche Gesellschaft ausdehnen: Er spannt sein Filztuch nun im Osten der Republik auf, fotografiert Reichsbahn-Obersekretärinnen, die weiblichen Lehrlinge eines Braunkohlewerks und Musiker der Nationalen Volksarmee – und fängt damit im letzten möglichen Moment gerade noch ein Stück der untergehenden DDR ein. "Meine Aufgabe ist eben, die Menschen festzuhalten, bevor sie verloren gehen", sagte Moses über seine Arbeit, "damit die neuen Menschen, die jetzt kommen, ungefähr ahnen, was gewesen ist und woher sie selber kommen. Es ist leichter, glaube ich, für die Menschen jetzt, wenn sie wissen, wie gelebt worden ist und was für Zeiten waren."

Jüdische Wurzeln, Auseinandersetzung mit Deutschland

In der Gesamtschau fügen sich die Porträts all dieser namenlosen Individuen zum Querschnitt der Gesellschaft. In weiteren Langzeitprojekten wie "Die großen Alten im Wald" oder "Deutschlands Emigranten" fotografiert Moses Dutzende der Protagonisten des deutschen Kulturlebens: Politiker, Schriftsteller, Wissenschaftler, Künstler, Regisseure und Schauspieler: Oskar Maria Graf mit kurzen Lederhosen und neugierigem Blick, Walter Gropius vor einer weiß getünchten Mauer, die Arme vor der Brust verschränkt, Theodor W. Adorno, sich selbst im Spiegel betrachtend.

Man kann mit Recht behaupten, Stefan Moses ist es gelungen, ein ganzes Volk zu fotografieren. Und zwar ein Volk, das ihm nach dem Leben trachtete: Moses hat jüdische Wurzeln, musste die Schule früh verlassen. Während des Krieges kann er sich verstecken, und später dann, als es endlich möglich ist, Deutschland zu verlassen – die Schiffspassage nach Amerika ist schon gekauft – , da entscheidet er sich hierzubleiben und sich mit diesem Volk auseinanderzusetzen.

"Es klingt wie ein Kalauer, aber es ist doch wahr: Moses ist in der Bibel ja der, der ein Volk erfindet, das Volk Israel. Vorher sind es irgendwelche Stämme, unberaten, ziemlich wirr und ziemlich unzivilisiert, mit Moses kommt die Idee: So sollt ihr sein. Und ich finde immer, dass Stefan mit ganz wenigen anderen Fotokünstlern der Bundesrepublik zu denen gehört, die die Deutschen erfunden haben." Christoph Stölzl, Historiker und langjähriger Freund von Stefan Moses

Ein zärtlicher Fotograf

Schon in den 60er-Jahren entwickelte sich Moses vom Fotojournalisten zum Konzeptkünstler, arbeitet nicht mehr nur im Auftrag von Spiegel und Stern, sondern verfolgt seine eigenen Ideen. 1967 erscheint etwa das Fotobuch "Manuel". Moses hatte seinen Sohn über ein Jahr lang immer wieder fotografiert: im Spiegelkabinett auf dem Oktoberfest, beim Schmusen mit Kater Juschka, als Nackedei am See oder beim Versuch, einen Luftballon zu fangen. Willy Fleckhaus, der wichtigste deutsche Grafikdesigner der Zeit, arrangierte diese Bilder zu einem zeitlosen Dokument aus dem Leben eines Kindes. "Manuel" wurde zum Kultbuch der jungen Elterngeneration und erreichte mit einer von Auflage von 27.000 Exemplaren Fotobuch-Rekorde.

"Moses hat eben die große Kunst, dass er Menschen humanisiert. Er war ein zärtlicher Fotograf, er trat niemandem zu nahe – Fotografie kann ja auch eine tödliche Waffe sein. Und wenn ich Bilanz ziehe, was von ihm bleibt, dann wird man sagen: Das ist doch interessant, diese Deutschen waren doch interessante Leute, die waren gar nicht so ugly germans. Ich würde sagen, es bleibt diese zärtliche Zuwendung zum eigenen Volk, mit dem er eben seine ganz eigene Kindheits- und Jugenderfahrung hatte." Christoph Stölzl über das Vermächtnis von Stefan Moses