Mitte der 90ger Jahre steht im Kinderzimmer von Fabian Thylmann ein großer, beiger Kasten - ein PC. Über ein LAN-Kabel ist er mit einem Modem verbunden. Manchmal nimmt Fabian den Kasten mit auf LAN-Partys, um ihn dort mit den PCs von anderen zu verbinden. Er war damals ein "Nerd", wird er später über sich selber sagen. Ein Nerd mit einer zweiten, für sein Alter eher besonderen Leidenschaft: Statistik. Um diese beiden Leidenschaften miteinander zu verbinden, beginnt er irgendwann, selbst ein Programm zu schreiben: Es hilft dabei, Internetseiten auszuwerten. Wie viele Nutzer sind auf einer Seite? Woher kommen sie? Was klicken sie an?
Early Adopters gehen auf Playboy.com
Als Anfang der 2000er Jahre die Nutzerzahlen im Internet langsam steigen, tummeln sich dort immer noch vor allem Männer, erzählt Fabian Thylmann. "Das allererste, was Leute gemacht haben, wenn sie gucken wollten ob das Internet funktioniert hat, war aufmachen und eine URL eingeben. Und die meisten haben playboy.com eingegeben."
Auch Thylmann nutzt bald die ersten Seiten, auf denen Nackt- und Sexbilder getauscht werden – es sind vor allem Chatrooms.
"In diesem Channel waren damals so die Leute, die quasi online alles losgetreten haben was mit Pornographie zu tun hat. Die waren einfach da, man hat sich unterhalten. Das war ne kleine Gruppe, 30 Leute, vielleicht 40. Und an die bin ich rangekommen. Hab angefangen mit denen zu reden. Und hab dann angefangen für die Sachen zu programmieren."
Im Vergleich zum Rest des noch jungen Internets, gibt es hier bereits viele Nutzer – deren Verhalten statistisch auszuwerten, macht für Thylmanns erste Programme also weitaus mehr Sinn als andernorts. Seine Idee ist da.
"Ich brauchte das Geld nicht"
Sein Statistikprogamm ist schnell umgebaut und auf Pornoseiten angepasst: "Mir hat das Spaß gemacht, ich brauchte das Geld nicht." Welche Fotos und Videos klicken am besten? Von welchen anderen Seiten kommen Nutzer auf eine Seite? Solche Statistiken berechnet Thylmann für einige Kunden. Die Informationen sind ihnen viel Geld wert: 30.000 Dollar ist der erste Scheck wert, der in seinem Briefkasten landet: "Das war so ein Moment, wo ich dachte, krass, das war ja jetzt einfacher als gedacht. Mal gucken wo das noch hinführt."
Unterdessen macht noch im Jahr 2005 die Pornoindustrie alleine in Deutschland einen Jahresumsatz von 18 Millionen Euro. Monatlich erscheinen 1.000 neue Videos. Videotheken machen bis zu zwei Dritteln Umsatz alleine mit der "Erwachsenen-Ecke".
"King of Porn"
Doch dass es inzwischen immer mehr Seiten gibt, die kostenlos Sexcontent anbieten, geht langsam auch an der Pornoindustrie nicht mehr spurlos vorüber: Aufwendige Drehs mit professioneller Crew kann sich bald keine Produktionsfirma mehr leisten. Eine nach der anderen geht pleite - oder steht zum Verkauf.
Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt geht Thylmann ein großes Risiko ein - eines, das ihn zum mächtigsten Pornounternehmer der Welt machen wird: Thylmann verkauft die Anteile an seinem Statistikunternehmen. Dafür kauft er sich Produktionsfirmen und Pornoportale wie X-Tube, My Dirty Hobby oder Privatamateure.com, die kostenlos Content anbieten. Und wahrscheinlich weiß im Jahr 2007/ 2008 niemand besser als der Statistiknerd, was sich die User wünschen.
"Und da hat es angefangen mit der ganzen Idee. Lass mal schauen, wie groß man sowas kriegt", sagt Thylmann.
Thylmann wird zum mächtigsten Pornounternehmer der Welt
Seine Lösungsidee wird eine Ära einleiten, in der Programmierer*innen oder Statistiker*innen wie er eine Industrie beherrschen und reich werden, mit etwas, für das niemand mehr bezahlt. Die Idee ist simpel, aber genial: Thylmann kombiniert die beiden Pornowelten. Auf den kostenlosen Seiten – vor allem PornHub – generieren Thylmann und sein Team Daten: Was schauen die User, wo bleiben sie länger, was überspringen sie? Alles angereichert durch die Unmengen an Content, den die User selbst hochladen.
Auf Trends springen dann seine Produktionsfirmen auf: Was gerade gut abgerufen wird, wird produziert und angeboten: Gegen Bezahlung. Und PornHub wächst binnen eines Jahres nach Übernahme von 250 auf 1200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, das dahinter stehende Unternehmen MindGeek wird irgendwann zum größten Pornounternehmen weltweit.
Doch: Wo Internetunternehmen mächtig werden – siehe Google, siehe Facebook - sind auch immer Schattenseiten. Auch bei Pornhub. Im Sommer 2020 müssen sich die neuen CEOs sogar vor dem kanadischen Parlament verantworten - wegen illegaler Videos auf ihren Seiten.
Im Podcast "Wild Wild Web – Der Pornhub Effekt" schauen Janne Knödler, André Hörmeyer u.a. genauer hin: Wie haben Fabian Thylmann und seine späteren Unternehmen nicht nur die Pornoindustrie und ihre Darsteller, sondern auch unser Sexleben verändert? Jetzt in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.
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