Bildrechte: Monika Rittershaus/Oper Frankfurt

Komponist, Dichter und Gräfin: Wohin führt der Weg?

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Die Gräfin greift zur Waffe: Frankfurter "Capriccio" überzeugt

Es ist die letzte Oper, die Richard Strauss vertonte, und sie ist mitnichten "unpolitisch": Zur Uraufführung versammelten sich 1942 die NS-Größen in München. In Frankfurt gelang jetzt eine beklemmende Inszenierung. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Es ist die einzige "Durchhalte-Oper" aus der Nazi-Zeit, die heute noch auf den Spielplänen steht: Klar, dass jeder Regisseur dazu Stellung nehmen muss. "Capriccio" von Richard Strauss wurde Ende Oktober 1942 in München uraufgeführt, vor der versammelten NS-Schickeria, während der Schlacht von Stalingrad, unmittelbar vor der Wende des Krieges. München war wegen der Fliegerangriffe verdunkelt, die Zuschauer mussten sich mit halb abgeklebten Taschenlampen durch die Stadt bewegen, eine Pause gab es nicht, jeder wollte möglichst schnell wieder zu Hause sein.

Richard Strauss war sehr anpassungsfähig

Wen scherte unter diesen Umständen ein Pariser Komponistenstreit aus dem Jahr 1775? Ein gescheites, aber harmloses Geplänkel über die Frage, ob in der Oper der Text oder die Musik mehr Gewicht haben sollten? Der politisch sehr anpassungsfähige Richard Strauss wollte das Werk als sein Testament verstanden wissen, kokettierte noch einmal mit dem von ihm heiß geliebten Rokoko, mit französischer Lebensart, und ließ sich beim Text ausgerechnet von Clemens Krauss unterstützen, einem Dirigenten, der zwar auch kein Nazi war, aber Hitlers persönlicher Günstling und ein Opportunist höchsten Grades.

Hitlergruß nach zwei Minuten

So wunderte es gestern Abend bei der Premiere in Frankfurt nicht, dass schon nach zwei Minuten ein Hitlergruß zu sehen war: Regisseurin Brigitte Fassbaender verlegte "Capriccio" in das besetzte Frankreich der vierziger Jahre. Ein Kind schiebt einen Spielzeug-Panzer über den Boden und reckt den rechten Arm in die Höhe, offenbar imitiert es die Erwachsenen. Die kunstbegeisterte Gräfin Madeleine, die hier Dichter, Musiker und Sänger um sich versammelt, hat eigentlich ganz andere Sorgen, als sich um Verse und Noten zu kümmern. Sie ist Widerstandskämpferin, lässt heimlich Propagandaplakate drucken, finanziert Waffen und ist fest entschlossen, in den Untergrund zu gehen, Code-Wort: "Souper".

Ist der Souffleur ein Spitzel?

Höchste Vorsicht ist dabei geboten: Überall lauern Augen und Ohren, selbst der angeheuerte Souffleur für die Geburtstagsaufführung kann ein Spitzel sein und wer weiß schon, ob die angereisten italienischen Sänger Mussolini-Fans sind? Ausstatter Johannes Leiacker hat dazu ein Glashaus entworfen, einen riesigen Wintergarten, dessen Scheiben halb blind geworden sind. Das können Eisblumen sein, denn alle Anwesenden frieren fürchterlich, kann aber auch Staub und Dreck dabei sein. Entscheidend ist: Hinter den Schlieren huschen immer wieder schemenhaft Menschen vorbei, bleiben stehen, horchen: Eine gespenstisch-gefährliche Welt und eine raffiniert-vielschichtige Inszenierung.

Intensiv, natürlich, klischeefrei

Einmal mehr hat Brigitte Fassbaender bewiesen, auch schwierige Stoffe hoch professionell, gedankenreich und bildstark umsetzen zu können. Wie leicht wäre es gewesen "Capriccio" in einen Luftschutzkeller zu verlegen, zwischen Bombentrichtern spielen zu lassen, die SS aufmarschieren zu lassen oder Hakenkreuz-Fahnen zu hissen, was ja auf Opernbühnen alles regelmäßig zu sehen ist, wenn es um die Aufarbeitung des Faschismus geht? Stattdessen konzentriert sich Fassbaender auf wenige, effektvolle Andeutungen und eine außerordentlich sorgfältige Personenregie: Bei ihr steht niemand unbeschäftigt herum, alle Beteiligten sind schauspielerisch permanent unter Hochspannung, agieren intensiv, absolut natürlich, völlig klischeefrei.

Sympathie galt dem Theaterdirektor

Das ist mal witzig, mal bestürzend, mal poetisch, und selbstverständlich gehört Fassbaenders ganze Sympathie dem Theaterdirektor La Roche, der in "Capriccio" von der Kunst Lebensnähe verlangt, Wahrhaftigkeit und Volksverbundenheit. Dazu lässt er Dias von Nazi-Aufmärschen projizieren, um die ganze Barbarei zu zeigen, die da draußen um sich greift. Alfred Reiter macht das großartig, Camilla Nylund ist eine beklemmend schwermütige Gräfin, Gordon Bintner ein aufgeweckt-unverdrossener Graf, der österreichische Bariton Daniel Schmutzhard und der amerikanische Tenor AJ Glueckert waren als zerstrittenes Dichter- und Komponistenpaar herrlich zickig und schlagfertig. Dirigent Sebastian Weigle brauchte etwas Anlauf, bis er zu einer eigenen Interpretation fand. Das Klangbild war zunächst arg pauschal und nichtssagend, es fehlte an Wehmut und Schmerz, am sentimentalen Schmelz, der sich dann jedoch bis zur dunkel schimmernden "Mondscheinmusik" umso berückender einstellte. Eine in jeder Hinsicht überzeugende Gesamtleistung!


Wieder am 18., 20., 24 und 26. Januar 2018, sowie weitere Termine.