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Sigrid Rausing

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"Desaster": Sigrid Rausings Memoir über Drogen und Depression

Sigrid Rausing, Enkelin des Tetra Pak-Begründers Ruben Rausing, schreibt in ihrem Buch "Desaster" über die Drogensucht ihres Bruders und den Tod seiner Frau. Und darüber, wie es ist, wenn ein Familienschicksal zum Medienstoff wird. Von Knut Cordsen

Sigrid Rausing entstammt einer milliardenschweren, öffentlichkeitsscheuen Familie: Die heute 56-jährige gebürtige Schwedin musste miterleben, wie ihr Bruder Hans Kristian heroinsüchtig wurde und gemeinsam mit seiner ebenfalls abhängigen Frau Eva immer weiter in den Drogensumpf abglitt. Über die zwölf Jahre der Hölle, an deren Ende Evas verwesende Leiche in der Londoner Stadtvilla gefunden und ihr Bruder verhaftet wurde, hat Sigrid Rausing ein Memoir verfasst. Knut Cordsen hat mit Rausing, die heute als Verlegerin in London arbeitet, gesprochen.

Knut Cordsen: Frau Rausing, die Geschichte Ihrer Familie war 2012 ein Boulevard-Thema in den Medien, 2016 wurde dann im nordschwedischen Piteå eine Kammeroper uraufgeführt, in der Hans Kristian und Eva wie Orpheus und Eurydike auftreten und Sie und Ihre Schwester Lisbet als dunkle Nornen auftauchen, die dem Bruder und der Schwägerin die Kinder wegnehmen. De facto hatte ein Gericht Ihnen und Ihrem Mann Eric 2007 die Betreuung der vier Kinder von Bruder und Schwägerin zugesprochen. Was hat Sie nun bewogen, die Geschichte Ihrer Familie selbst aufzuschreiben?

Sigrid Rausing: Ich war entsetzt über diese Oper. In vielerlei Hinsicht bildete sie den Höhepunkt aller medialen Spiegelungen unserer Familientragödie. Ich dachte an einen Satz von George Bernard Shaw, den Ishmael Reed mal zitierte: Wenn du deine Geschichten nicht selbst erzählst, dann erzählen andere sie für dich, und sie erniedrigen dich, sie demütigen dich.

Sie schreiben: "Manche Familien sind überbeschützend. Andere, wie zum Beispiel unsere, sind insgeheim stolz auf die Wildnis." Was meinen Sie damit?

Meine Kindheit war nicht überbehütet und deshalb sehr glücklich. Zwar war keines von uns drei Geschwistern besonders glücklich in der Schule, aber wir genossen große Freiheiten. Es war wild, Pferde zu reiten, sie anzuhalten, indem man mitten im Galopp von ihnen glitt. Oder im Segelboot zu stehen und die See um sich schäumen zu sehen. Auf dieses ungeschützte Leben waren wir stolz. Als ich 17 war, reiste ich durch Amerika und machte auf dieser Reise meinen Führerschein. Erst kurz bevor ich losfuhr, drückte mir mein Vater ein Bündel Geldscheine dafür in die Hand, das war alles. Dieses Freiheitsgefühl wollte ich einfangen.

Das war in den 70er-Jahren, der Zeit, in der John Paul Getty III. entführt wurde, auch er ein reicher Erbe. Sie beschreiben in Ihrem Buch einen Entführungsplan, der Ihren Cousin betraf und zufällig aufflog. Wenn man Ihre Erinnerungen liest, gewinnt man nicht den Eindruck, Sie hätten Angst gehabt vor solchen Szenarien.

Ja, Schweden insgesamt war ein sehr sicherer Platz. Ich bin in Lund aufgewachsen, einer alten Universitätsstadt in Südschweden. Gewalt kannten wir nicht. Am unheimlichsten waren für mich all die Sicherheitsvorkehrungen, die getroffen wurden, nachdem die Pläne zur Entführung meines Cousins zufällig entdeckt worden waren: die Alarmanlagen, die Polizisten mit Taschenlampen, all die sichtbaren und unsichtbaren Zäune um uns herum.

Mit 18 sind Sie aus Lund nach London gezogen. Dieser Umzug nach Großbritannien scheint Ihnen geholfen zu haben, fertig zu werden mit einer ersten schweren Depression, unter der Sie damals litten. Sie setzen Ihre Erkrankung zu der Ihres Bruders Hans Kristian in Beziehung, wenn Sie schreiben: "Meine Depression, seine Sucht, ein ähnliches emotionales Defizit, ein ähnlicher emotionaler Zustand".

Sicherlich gibt es da allein deshalb schon einen Zusammenhang, weil die Veranlagung zu Depressionen wie auch zum Suchtverhalten zu einem nicht geringen Teil genetisch bedingt ist. Ich würde nicht sagen, dass die Abhängigkeit meines Bruders meine Depression ausgelöst hat. Vieles ist mir immer noch rätselhaft: warum sein Schicksal so und meines so verlief, und es gibt für all das auch immer mehr als einen Grund. Aber ich glaube in der Tat, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Sucht und Depression.

Wie schwierig war es, über Ihre Phasen schwerer Depression zu schreiben?

Beim Schreiben habe ich mir nie einen Leser vorgestellt. Das Schreiben war für mich eher ein imaginäres Gespräch mit meinem Psychoanalytiker, meinem Mann Eric und meiner Schwester Lisbet. Ganz generell ist mir weniger das Schreiben schwergefallen als das Veröffentlichen des Buches.

Ihr Bruder hat seine "Zombie-Phase" überlebt. Was sagt er zu Ihrem Buch?

Er wusste, dass ich darüber schreiben würde. Letzten Endes hat er gesagt: Ich werde dieses Buch nicht lesen. Für mich war das eine gute, gesunde Reaktion. Er muss das nicht lesen, ich war mit diesem Satz zufrieden.

Sigrid Rausings Memoir "Desaster" erscheint am 25. April in der Übersetzung von Adelheid Zöfel im S. Fischer Verlag.