Bildrechte: DHM/Aldo Baradel Collection Foto: Gianfranco Munerotto

Aldo Baradel, Modell des letzten »Bucintoro«, 1972–1976

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"Auf die Schiffe, Philosophen": "Europa und das Meer" in Berlin

Zucker-Konsum und Sklavenhaltung standen in direktem Zusammenhang, erfährt der Besucher im Deutschen Historischen Museum (DHM) Berlin. 70 000 Kilometer Küste hat Europa, Grund genug für eine Ausstellung über Seefahrt und Meer. Von Simone Reber

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Ein Handy, eine Gürteltasche, ein Rucksack: Das sind die Gegenstände, die Geflüchtete dem Deutschen Historischen Museum (DHM) zur Verfügung stellten. Ihr kostbarster Besitz bei der Überquerung des Meeres. Paul Nkamani aus Kamerun hat seinen Rosenkranz ausgeliehen, den ihm der Pfarrer seines Heimatdorfes mit auf den Weg gab, wie er in einer Hörstation erzählt.

"Er hat mich begleitet während meiner ganzen Reise von meinem Heimatland bis Europa. Er hat mir viel geholfen. Die Hälfte der Passagiere ist gestorben und ich glaube, dieser Rosenkranz hat mich gerettet." Paul Nkamani

Wurfsteine gegen Eroberer

Die faszinierende Ausstellung „Europa und das Meer“ im Deutschen Historischen Museum betrachtet den Kontinent einmal nicht vom Land aus. Mit einer Gesamtküstenlänge von 70.000 km grenzt Europa an so vielen Punkten ans Meer wie kein anderer Erdteil. Das Meer formt die europäische Identität, Europa wurde über das Meer erschlossen und expandierte über das Meer, sagt Dorlis Blume, die Kuratorin der Ausstellung. Schon im 14. Jahrhundert stachen französische Söldner für die spanische Krone in See, um die erste Kolonie zu erobern – die kanarischen Inseln.

"Wir haben einmal Gegenstände aus Teneriffa, vom Kampf, der Schlacht von Acentejo. Hier sehen sie die ausgerüsteten Conquistadores und auf der anderen Seite die Wurfsteine, mit denen sich die Guanchen gewehrt haben, also eher einfache militärische Mittel, mit denen sie aber sehr lange standhalten konnten." Dorlis Blume

Je mehr Zucker, je mehr Sklaven

Das dunkelste Kapitel europäischer Expansion ist bis heute kaum aufgearbeitet – nach der Eroberung Amerikas profitierten die europäischen Städte vom Sklavenhandel – selbst wenn ihre Bewohner die versklavten Menschen nie zu Gesicht bekamen. Aus Häfen wie Liverpool, Lissabon oder Nantes fuhren die Schiffe nach Westafrika, mit Waren an Bord, tauschten diese gegen Sklaven, brachten die Menschen in die Karibik und kamen mit Zucker zurück.

"Es ist interessant zu sehen, je höher der Zuckerkonsum in Europa war, desto höher stieg auch die Zahl der Sklaven, die in die Karibik verschifft wurden an und auf den Inseln wurden ganze Monokulturen an Rohrzucker angebaut, weil die Europäer so gierig nach Zucker gewesen sind." Dorlis Blume

200 Jahre alter Schiffszwieback

Die Zeichnung eines Sklavenschiffes dokumentiert die qualvolle Enge auf dem Zwischendeck und die großen Mengen Vorrat, um die vielen Menschen zu ernähren. 13 Millionen Afrikaner verloren auf diese Weise ihre Freiheit. Eine Vitrine veranschaulicht auch das Leben der Seemänner an Bord eines Segelschiffes. Zu sehen sind die schweren Schuhe der Matrosen, mit hohem Absatz, um sich in die Takelage zu haken, der einfache Holzlöffel, den jeder Seemann bei sich führte. Wenn er starb, gab er den Löffel ab.

"Das ist ein zweihundert Jahre alter Schiffszwieback, der sich deswegen erhalten hat, weil der Matrose seiner Liebsten etwas eingeritzt hat und es ihr überreicht hat als Geschenk, um seine Liebe zu zeigen, hat er es sich vom Mund abgespart." Dorlis Blume

Auswanderer-Kontinent Europa

Im 19. Jahrhundert wurde Europa zum Auswanderungskontinent. Iren, Briten, Deutsche flohen vor politischer Verfolgung und Hungersnot vor allem in die Vereinigten Staaten. Als Beispiel wählt die Ausstellung Bremerhaven.

"Es gab richtige Hygiene- und Quarantänestationen, weil in New York auf Ellis Island gab es eine Prüfung, jeder, der nicht gesund war, wurde zurück geschickt, auf Kosten der Reedereien. Und da haben sie sich entschlossen, dann doch gleich die Prüfung vor Ort durch zuführen, damit sie selbst nicht dafür aufkommen müssen." Dorlis Blume

In Brighton begann der Badeurlaub

Eine ganz andere Form der Expansion stellte schließlich der Badeurlaub dar. Die europäische Erfindung des 19. Jahrhunderts begann von Brighton, dehnte sich aber schnell an die Mittelmeerstrände und natürlich auf die kanarischen Inseln aus. Sehr lebendig und anschaulich vermittelt die Ausstellung im DHM mit originellen Exponaten das Bild von einem Europa, das immer Ziel oder Startpunkt von Migration war. Jedenfalls, wenn man den Kontinent vom Meer aus betrachtet.