Zum Beispiel die Bahnstrecke zwischen München und Tutzing am Starnberger See. Hier gilt eigentlich ein Sicherheitsabstand von sechs Metern zwischen Gleisbett und nächstem Baum. In der Gemeinde Krailling aber, da wachsen unmittelbar neben dem Gleisbett zahlreiche Fichten, Buchen und Erlen in schwindelnde Höhen. Ihre Äste überwölben die Oberleitungen. Landschaftsgärtner Lothar Sigmund, der gerade das Laub in einem der Gärten entlang der Trasse zusammenrecht, schaut skeptisch in die Höh‘ - hinauf zu den Stromleitungen der Bahn.
"Ja, sobald ein Blatt drauf fällt, ist halt zu. Was will man machen? Ich weiß es auch nicht. Sobald ein Ast drauf fällt ist die Strecke zu." Lothar Sigmund, Landschaftsgärtner
Vorschrift ist Vorschrift
Die hohen Bäume könnte man doch einfach fällen. Denkt sich der Laie. Das ist aber ganz, ganz schwierig entgegnet Lothar Sigmund. Und erzählt vom Bundesnaturschutzgesetz, dem Bayerischen Naturschutzgesetz und der Baumschutzverordnung in seiner Gemeinde.
"Im Moment ist die Rechtslage so, ich muss einen Baum ab einem gewissen Stammumfang bei der Gemeinde melden, ob ich überhaupt an den ran darf. Also ich als Gärtner muss mich an Kommunalrecht halten – kann einen Baum, der in der Nähe ist, nicht einfach fällen. Das geht nicht." Lothar Sigmund, Landschaftsgärtner
Gilt das Gleiche auch für die Deutsche Bahn? Eine Nachfrage bei ihren Sprechern in Bayern läuft erst mal ins Leere. "Bitte wenden sie sich an die Zentrale in Berlin - an die "Deutsche-Bahn", meint Bahn-Sprecherin Maja Weihgold uns gegenüber. Sie berichtet stolz von einem sogenannten "Vegetations-Präventions-Programm“ der Bahn.
"Wir investieren pro Jahr etwa 100 Millionen. Euro dafür, dass über 1.000 Mitarbeiter entlang der Trasse unsere Vegetation im Blick haben." Maja Weihgold, Bahn-Sprecherin
1.000 Mann fürs "Grüne" zuständig
Das klingt erst einmal beeindruckend: 100 Millionen. Euro alleine für die Baum- und Gebüschpflege entlang der Bahngleise. 1.000 Mitarbeiter für ganz Deutschland erscheint aber dann doch eher wenig. Früher hat es sogenannte Streckengeher gegeben, die in ihrem jeweiligen Abschnitt unter anderem nach morschen Bäumen, hängenden Ästen und wucherndem Gehölzen geschaut haben. Die Streckengeher sind eingespart worden. Als die Bahn an die Börse gehen wollte – unter der Leitung von Hartmut Mehdorn. "Die Streckengeher fehlen jetzt", klagt die Fahrgast-Organisation Pro Bahn, und mahnt zur einer Rückbesinnung. Doch sollte ein Baum tatsächlich kurz vor dem Umfallen stehen, dann haben wir einen konkreten Plan, so die Bahnsprecherin.
"Ganz klar ist, wenn akute Gefahr von einem Baum ausgeht, dann fällen wir den. Da geht eben der sichere Betrieb der Bahn vor. Aber in der Tat ist es so, dass sowohl die Abstimmung mit den Behörden als auch die Abstimmung mit privaten Besitzern von Waldstücken entlang unserer Trassen intensiv geführt werden müssen und dass man da versucht, einvernehmlich dann die besten Lösungen durchzusetzen." Maja Weihgold, Bahn-Sprecherin
Die Anwohner wollen ihre Bäume bewahren
Man kann sich lebhaft vorstellen, wie solche "Abstimmungsverhandlungen“ mit Behörden und Privatbesitzern ausschauen. Denn, Bäume lösen bei vielen Naturschützern und Pflanzenfreunden starke Emotionen aus - wie eine Spontanumfrage unter Bahnanrainern in Krailling belegt. "Ich reg mich über jeden Baum auf, den sie umhauen. Also bin ich dagegen", meint da zum Beispiel ein Anwohner. Würde man die baumfreie Sicherheitszone entlang der Bahntrassen verbreitern, würde man auf jeden Fall Probleme mit den Umweltverbänden bekommen – glaubt Bayerns Pro-Bahn-Sprecher Winfried Karg.
"Manchmal muss der unmittelbare Naturschutz zurückstehen, wenn es um die Sicherheit von Bahnstrecken geht. Denn es ist ja auch kein Naturschutz, wenn die Bahnnutzer aufs Auto ausweichen müssen, wenn ein Baum auf die Gleise fällt." Winfried Karg, Sprecher von Pro-Bahn
Die meisten Fahrgäste sind jedenfalls heilfroh, wenn sie nicht wegen umgefallener Bäume auf der Strecke hängenbleiben. Wobei sich ein wenig Fatalismus breitmacht, bei den Bahnkunden. Denn, der nächste Orkan kommt bestimmt.