Ukrainische Familie nach der Rettung aus Mariupol
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Eine ukrainische Familie nach der Rettung aus Mariupol

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Überlebende aus Mariupol: "Die Kinder weinten die ganze Zeit"

Von Explosionen zu Boden geworfen, Brei fürs Baby über einer Kerze gekocht und ständig in Angst: Ukrainerinnen berichten, wie sie im Stahlwerk in Mariupol ausharrten. Sie wurden gerettet, aber andere sind noch dort – unter russischem Beschuss.

"Danke", sagt Anna Saitsewa und bricht in Tränen aus. Sie und ihr sechs Monate alter Sohn gehören zu den etwa 150 Menschen, die aus dem Asow-Stahlwerk in Mariupol gerettet wurden. "Es war schrecklich", berichtet Saitsewa, als sie im ukrainisch kontrollierten Saporischschja aus dem weißen Evakuierungsbus aussteigt.

"Wir standen unter ständigem Beschuss, schliefen in improvisierten Betten, wurden von den Explosionen zu Boden geworfen", schildert die Mutter. Und das alles mit einem Säugling. Soldaten hätten Babymilch für sie organisiert. Als die nicht mehr aufzutreiben war, hätten sie Grieß besorgt, den sie über einer Kerze gekocht habe, sagt Saitsewa. "Ein Kind großzuziehen ist eine schwierige Sache. In einem Bunker ohne Licht ist es noch schwieriger." Und Katarina, die es auch aus Mariupol herausgeschafft hat, sagt:

"Wie wir gelebt haben? Ehrlich gesagt war es schrecklich. Von morgens bis abends wurden wir bombardiert. Artillerie, Raketen, Luftangriffe … Die Kinder konnten nicht schlafen, sie weinten die ganze Zeit. Sie hatten andauernd Angst. Genau wie wir alle. Etliche Male haben wir die Hoffnung verloren, dass wir dort jemals wieder herauskommen würden."

Stahlwerk Asowstal letzte ukrainische Bastion in Mariupol

Das elf Quadratkilometer große Stahlwerksgelände ist die letzte Bastion der ukrainischen Armee in der russisch besetzten Hafenstadt Mariupol. Ukrainische Kämpfer und Zivilisten harren dort seit Wochen aus. Die Zivilisten suchten in den unterirdischen Tunnelanlagen Zuflucht vor dem Beschuss ihrer Wohnhäuser.

Das in dem Werk verschanzte Asow-Regiment hatte der russischen Armee am Dienstag vorgeworfen, einen Großangriff auf die Anlage gestartet zu haben. Laut Mariupols Bürgermeister Boitschenko ist der Kontakt zu den ukrainischen Soldaten im Asow-Werk abgerissen. Auf dem Gelände würden sich noch etwa 200 Zivilisten befinden.

"Sie bombardierten uns jede Sekunde"

Auch Elyna Zybultschenko gehört zu denjenigen, die am Dienstag gerettet wurden. Die 54-Jährige arbeitete als Qualitätskontrolleurin im Stahlwerk, bevor der Krieg sie zwang, dort permanent Zuflucht zu suchen. "Sie bombardierten uns jede Sekunde. Alles bebte, Hunde bellten und Kinder schrien", berichtet sie.

"Aber das Schlimmste war, als man uns sagte, dass unser Bunker einem direkten Treffer nicht standhalten würde. Uns war klar, dass der Bunker zum Massengrab würde und uns niemand retten könnte." Elyna Zybultschenko

Zybultschenko hatte sich ins Stahlwerk geflüchtet, nachdem ihr Haus durch Granaten zerstört worden war und das Wasser in der Stadt knapp wurde. Auch im Werk war es lebensgefährlich, Wasser zu beschaffen.

Lebensgefahr beim Wasserholen

"Um Wasser zu holen, mussten wir uns zwischen den Gebäuden bewegen. Die Männer haben das für uns gemacht, auch mein Vater", sagt Saitsewa. "Er wurde verletzt, aber Gott sei Dank nicht tödlich", fügt die junge Mutter hinzu. In ihrem Teil des Tunnels seien etwa 70 weitere Menschen untergebracht gewesen. Dreimal habe sie versucht, von dort zu fliehen. "Einmal sind wir alle raus und dann begann der Beschuss, der Waffenstillstand wurde gebrochen", sagt sie. Weil keine Hilfe von außen kam, dachte Saitsewa, sie seien vergessen worden. "Aber am Ende stellte sich heraus, dass das nicht stimmte."

Tränen der Erleichterung

Als der Konvoi weißer Busse auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums in Saporischschja eintrifft, ist die Erleichterung bei den wartenden Angehörigen und Freunden groß. Tränen der Erleichterung fließen. Doch nach letzten Angaben harren noch weitere Zivilisten unter dem Stahlwerk aus. Die Vereinten Nationen wollen auch sie retten.

"Wir haben jeden Tag gehofft, dass er der letzte in dieser Hölle sein würde. Dass wir in ein friedliches Mariupol zurückkehren könnten. Aber Mariupol gibt es nicht mehr." Inna

Mit Material von AFP/Joshua Melvin

Zerstörte Infrastruktur in der Ukraine
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Angegriffene Infrastruktur in der Ukraine

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