Taurus-Marschflugkörper von vorne (Archivbild)
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Taurus-Marschflugkörper von vorne (Archivbild)

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Taurus-Debatte: Ab wann wäre es eine "Kriegsbeteiligung"?

Deutschland dürfe nicht zur Kriegspartei werden. So erklärt Kanzler Scholz sein "Nein" zur Taurus-Lieferung an die Ukraine. Teile der Koalition halten dagegen - ebenso die Union. Aber was sagen Experten? Wie problematisch wäre diese Waffenhilfe?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Bloß keine "Linie überschreiten", Deutschland dürfe nicht "in den Krieg hineingezogen werden" - das betont Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Taurus-Debatte immer wieder. Er beruft sich dabei auch auf seine Richtlinienkompetenz als Regierungschef.

Laut dem ARD-Deutschlandtrend gibt eine Mehrheit der Bevölkerung Scholz in dieser Frage recht, bei FDP und Grünen wiederum hadern einige mit der Entscheidung. So kommen nicht nur aus der Opposition harsche Vorwürfe. Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) wirft dem Kanzler vor, er spiele mit den "Kriegsängsten der Bevölkerung". Aber auch Anton Hofreiter von den Grünen stellt fest, wenn Scholz behaupte, Taurus-Lieferungen machten Deutschland zur Kriegspartei, dann sei das "faktisch und rechtlich falsch".

Was verbirgt sich hinter "Taurus"?

Der Name "Taurus" setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben von "Target Adaptive Unitary and Dispenser Robotic Ubiquity System". Das System dieses Marschflugkörpers wurde in den 1990er Jahren von Deutschland und Schweden gemeinsam entwickelt und wird von einer Tochter des europäischen Rüstungsherstellers MBDA gebaut - im bayerischen Schrobenhausen.

Es handelt sich um eine unbemannte Rakete, rund fünf Meter lang und einen Meter breit. Sie wird aus einem Flugzeug abgeworfen und steuert - das ist eine Besonderheit - ihr Ziel selbstständig an, muss also nach dem Abwurf nicht mehr gelenkt werden. Außerdem kann Taurus besonders tief fliegen, in einer Höhe von weniger als 50 Metern. Feindliches Radar kann den Flugkörper deshalb nicht so leicht ausmachen.

500 Kilometer Reichweite - bis ins russische Landesinnere

Was in der Debatte oft als erstes genannt wird, ist die große Reichweite des Taurus. Laut Bundeswehr liegt sie bei bis zu 500 Kilometern. Zum Vergleich: Das britisch-französische Gegenstück "Storm Shadow" (auch "SCALP" genannt) schafft nur etwa die Hälfte, also rund 250 Kilometer.

Damit ist klar: Mit dem Taurus könnten ukrainische Soldaten Ziele tief im russischen Landesinneren treffen. Sollte es wirklich so weit kommen: Wäre Deutschland - als Lieferant der Waffe - dann schon "Kriegspartei"?

Völkerrechtler: Reichweite von Taurus unerheblich

Matthias Herdegen, Professor für Völkerrecht an der Universität Bonn, hat dazu eine klare Meinung. Nach seinen Worten spielt die Reichweite von Taurus völkerrechtlich überhaupt keine Rolle. Auf BR24-Anfrage erklärt er, Deutschland dürfe der Ukraine Waffen "zur Unterstützung der zulässigen Selbstverteidigung" liefern, und diese Selbstverteidigung sei "nicht auf das ukrainische Staatsgebiet beschränkt".

Nach Herdegens Worten ist es zudem "eine rein politische Entscheidung, ob wir Waffen nur für einen beschränkten Einsatzradius liefern und ob wir der Ukraine mit einer solchen Beschränkung vertrauen wollen".

Kriegsbeteiligung "im Grunde nur durch zwei Szenarien"

Aus Sicht von Christoph Schwarz, der am "Austrian Institute for European and Security Policy" (AIES) forscht, gibt es nur zwei Fälle, die Deutschland zur Kriegspartei machen würden. Erstens: Deutsche Soldatinnen und Soldaten führen "aktive und unmittelbare Kampfhandlungen" aus. Zweitens: Russland greift einen EU- oder Nato-Mitgliedsstaat an - und provoziert damit den Bündnisfall. In diesem Fall müsste auch Deutschland militärischen Beistand leisten.

Bei reinen Waffenlieferungen oder auch bei einer Ausbildung ukrainischer Soldaten, selbst auf ukrainischem Staatsgebiet, wäre das nicht der Fall, betonte Schwarz gegenüber dem ARD-Faktenfinder. Heikel wäre es aus seiner Sicht aber, wenn die Bundeswehr direkt beim Einsatz von Taurus eingebunden wäre.

Hilfe bei der Zielsteuerung: Kriegsbeteiligung oder nicht?

Aber wäre Deutschland schon "direkt eingebunden", wenn es bei der Zielsteuerung der Taurus-Raketen helfen würde? In dem Gespräch unter hohen Bundeswehroffizieren, das von Russland abgehört und veröffentlicht wurde, ist immer wieder davon die Rede, wie man die - technisch offensichtlich hoch komplizierte - Zieleingabe bewerkstelligen könnte, ohne die "rote Linie" zu überschreiten.

Dabei wird neben dem Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz auch mehrmals der MBDA-Standort Schrobenhausen genannt. Würden also von dort aus Zieldaten eingegeben: Würde Deutschland damit zur Kriegspartei? Auch das beantwortet der Völkerrechtler Herdegen mit Nein: "Zieldaten oder Geodaten sind wie Navigationssysteme letztlich Hilfsmittel im Rahmen der militärischen Entscheidung, wo und welche Ziele angegriffen werden." Diese Entscheidung liege bei der Ukraine, so Herdegen gegenüber BR24.

Anders beurteilt das Alexander Wentker vom Max-Planck-Institut in Heidelberg. Dem ZDF sagte er vor Kurzem, wenn westliche Staaten der Ukraine konkrete Zielkoordinaten eingäben - innerhalb einer Militäroperation, dann "kommen wir in einen Bereich, bei dem man von einer Kriegsbeteiligung sprechen kann".

"Kreml hat längst alle Bindungen an Völkerrecht aufgegeben"

Ebenso wie die Politik ist sich also auch die Wissenschaft nicht wirklich einig, wo genau sich die viel zitierte "rote Linie" befindet, die man besser nicht überschreiten sollte. Der Völkerrechtler Herdegen gibt dabei noch etwas anderes zu bedenken: Der Kreml habe "längst alle Bindungen an das Völkerrecht aufgegeben". Aus seiner Sicht sollte Deutschland deshalb "nicht dem Diktat der Angst folgen" und eher auf seine "Abschreckungsfähigkeit" setzen.

Fliegt Taurus auch ohne deutsche Hilfe?

Man werde sehen, worauf man sich in Deutschland einigen werde, hatte Präsident Wladimir Putin erst kürzlich im russischen Staatsfernsehen betont und dazu noch empfohlen, gut nachzudenken. Dabei hätte Deutschland wohl noch eine weitere Option: ukrainische Soldaten am Taurus ausbilden und sich im Anschluss vollkommen aus dessen Steuerung heraushalten.

Vom Taurus-Hersteller MBDA Deutschland jedenfalls heißt es, man könne "Nutzernationen von Taurus, und hier auch natürlich die Ukraine, vollständig im technischen Umfang mit dem System schulen". Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte Anfang März beim Besuch von MBDA in Schrobenhausen darauf verwiesen, dass der Taurus ja auch nach Südkorea geliefert wurde. Daraus zog er den Schluss: "Es ist mit Bundeswehrsoldaten leichter, aber es geht ohne Bundeswehrsoldaten."

Wie schnell die Ukraine allerdings in der Lage wäre, den deutschen Marschflugkörper selbst zu bedienen, ist umstritten. Im Bundestag ist am 14. März ein neuerlicher Antrag der Union auf Taurus-Lieferungen durchgefallen.

Im Video: Interview mit Völkerrechtler Wentker

Alexander Wentker
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Alexander Wentker

Dieser Artikel ist erstmals am 14. März 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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