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Flüchtlinge stehen an

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So laufen Alterstests für Flüchtlinge

Nach der tödlichen Messerattacke durch einen angeblich 15-jährigen Afghanen ist die Diskussion über die Altersfeststellung von Flüchtlingen neu entbrannt. Was sagt das Gesetz? Wie wird untersucht? Und wie gehen andere Länder vor? Von Birgit Gamböck

1. Das Problem

Im November 2017 lebten in Deutschland laut Bundesfamilienministerium rund 31.300 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Zuständigkeit der Jugendhilfe. Es wird angenommen, dass viele über 18 sind, sich aber für jünger ausgeben. Der Grund: minderjährige Flüchtlinge genießen Vorteile. Sie werden nicht nach dem Asylrecht, sondern nach dem Jugendhilfegesetz behandelt.

Minderjährigkeit schützt vor Abschiebung, garantiert eine bessere Unterbringung und verspricht strafrechtliche Milde. Die größte Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl suchen, kommt aus Afghanistan.

2. Das Gesetz

Die Altersfeststellung liegt in der eigenständigen Verantwortung der rund 600 Jugendämter in Deutschland. Geregelt ist dies im § 42f SGB VIII:

"(1) Das Jugendamt hat im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person gemäß § 42a deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen.
(2) Auf Antrag des Betroffenen oder seines Vertreters oder von Amts wegen hat das Jugendamt in Zweifelsfällen eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen."

3. Die Praxis

Fehlen Ausweispapiere, erfolgt die Altersfeststellung also zunächst durch Begutachtung der äußeren Erscheinung und durch Gespräche von Mitarbeitern des Jugendamtes. Bestehen Zweifel am wirklichen Alter, hat das Jugendamt eine zusätzliche ärztliche Untersuchungen anzuordnen. Dazu zählen das Röntgen der Handknochen, des Schlüsselbeins oder auch der Zähne. Eine Untersuchung der Genitalien ist nicht zulässig.

Für die betroffenen Flüchtlinge ist die medizinische Untersuchung nicht verpflichtend. Sie können sich weigern. Dann allerdings kann das Jugendamt die Feststellung des Alters beenden und die Inobhutnahme verweigern. Bringt auch der Medizintest keine Klarheit, besteht der Grundsatz: im Zweifel für den Angeklagten, d.h. die Person gilt als minderjährig.

Medizinische Tests sind in Deutschland also nicht Pflicht. Bei Zweifeln muss sie das Jugendamt aber machen lassen.

4. Was sagen Mediziner?

Beim Thema Altersdiagnostik gehen die Fachmeinungen auseinander. Einigkeit herrscht noch darüber, dass keine Methode exakt ist, sondern nur Schätzungen möglich sind. Die Kontroverse läuft entlang der Frage: Wie hoch sind die Fehlerquoten und nimmt man sie in Kauf?

Rechtsmediziner glauben, mit der Kombination aus körperlicher Untersuchung und Röntgen der Hand sowie des Gebisses ein wahrscheinliches Alter und ein Mindestalter angeben zu können: "Der zweifelsfreie Nachweis der Volljährigkeit ist möglich", sagt Andreas Schmeling von der Universitätsklinik Münster und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik.

Im Grunde geht es dabei um den Vergleich von Werten in Tabellen. Wie groß sind die Weisheitszähne, wie lang der Handknochen? Klingt einfach, doch die Abweichungen sind groß. Nach Angaben des Ärztevereins IPPNW kann das Knochenalter um bis zu drei Jahre nach unten oder oben abweichen. Weisheitszähne wachsen in einer Altersspanne zwischen 16 bis 25 Jahren.

Die Bundesärztekammer spricht sich ob dieser Ungenauigkeit gegen das Röntgen aus. Zudem würden Menschen ohne medizinische Notwendigkeit Strahlung ausgesetzt. Die zentrale Ethikkommission hatte sich 2016 eingehend mit der Problematik auseinandergesetzt und empfiehlt in einer Stellungnahme stattdessen sozialpädagogische Prüfungen.

Im Saarland werden Hände trotzdem geröntgt. Am Klinikum Saarbrücken liefen nach Angaben der CDU von Februar 2016 bis November 2017 insgesamt 701 Untersuchungen. 243 unbegleitete minderjährige Ausländer wurden als volljährig erkannt.

5. Was machen andere Länder?

Im europäischen Ausland gelten ähnliche Stufenverfahren wie in Deutschland. In Frankreich etwa findet ebenfalls zunächst ein Gespräch zur Altersklärung statt. Bringt das keine Klarheit, kann eine Röntgenuntersuchung der Zähne und Knochen angeordnet werden. Im Zweifel wird für den Betroffenen entschieden.

Schweden geht seit Mitte März 2017 einen strikteren Weg. Hier wird das Alter von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen systematisch überprüft. Das Amt für Rechtsmedizin testete innerhalb eines halben Jahres fast 2.500 Personen. Mehr als 80 Prozent von ihnen erklärte man für volljährig. Methode der Wahl ist eine Kombination aus Röntgen der Weisheitszähne und eine Magnetresonanztomographie (MRT) der Kniegelenke.