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Operationssaal in einer Klinik

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Weniger Behandlungsfehler registriert - Dunkelziffer vermutet

Bundesweit gab es im vergangenen Jahr weniger Behandlungsfehler - so die neuesten Zahlen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, MDK. Deutschlands oberster Patientenschützer Brysch fordert im BR ein zentrales Register für mehr Transparenz.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Die gesetzlichen Krankenkassen haben im vergangenen Jahr etwas weniger Behandlungsfehler in Kliniken und Arztpraxen festgestellt. Den Zahlen nach hat der MDK 3.337 Fehler und Schäden bestätigt. Im Vorjahr gab es 3.564 Bestätigungen. Auch die Zahl der Gutachten, die nach Patienten-Beschwerden geschrieben wurden, war rückläufig. Bundesweit gab es im vergangenen Jahr 13.519 Sachverständigengutachen zu vermuteten medizinischen Behandlungsfehlern. Im Vorjahr, 2016, waren es noch 15.094. Auch in Bayern gab es einen Rückgang. So wurden 2017 im Freistaat 3.196 Gutachten erstellt. 2016 waren es 3.852 Fälle.

Die meisten Beanstandungen gab es in den Bereichen Chirurgie und Orthopädie. An bayerischen Gerichten nimmt jedoch die Zahl der Verhandlungen zu. Auch die Technikerkrankenkasse hat im März von einem Behandlungsfehler-Rekord für das letzte Jahr gesprochen. Die Bundesärztekammer sprach bei der Veröffentlichung von ihren Zahlen von einem leichten Rückgang.

MDK-Gutachter bestätigen jeden vierten Fehlervorwurf

Also in rund 25 Prozent der gemeldeten Fälle wurde der Verdacht auf einen Behandlungsfehler bestätigt. In jedem fünften Fall stellten die Gutachter fest, dass die Schädigung des Patienten durch einen Fehler verursacht wurde. Der MDK geht allerdings davon aus, dass die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher liegt.

"Unsere Bilanz fällt ernüchternd aus: Wir sehen immer wieder die gleichen Fehler und zwar auch solche, die nie passieren dürften, weil sie gut vermeidbar wären - vom im Körper vergessenen Tupfer bis hin zu Verwechslungen von Patienten und falschen Eingriffen."

Dr. Stefan Gronemeyer, stellvertretender Geschäftsführer des Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, MDS

Dr. Stefan Gronemeyer, stellvertretender Geschäftsführer des Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, MDS, kritisiert, dass trotz aller Bemühungen für mehr Patientensicherheit die Transparenz über Art und Umfang von Fehlern unzureichend sei. Es fehle an einer konsequenten Strategie, um die Patientensicherheit zu verbessern, so Gronemeyer.

Wer betroffen ist, verliert oft den Boden unter den Füßen

Eine unruhige Nacht liegt hinter Werner Rauscher. Um zwei Uhr wurde er wach. Sein Bein begann zu schmerzen. Er musste wieder seine Runde drehen, bevor er wieder einschlafen konnte. Für seine Probleme macht er einen Notarzt verantwortlich. Seit dessen fatalen Eingriff hat der Regensburger 25 Operationen über sich ergehen lassen müssen. Seit einem Jahr versucht Werner Rauscher gemeinsam mit seiner Rechtsanwältin juristisch gegen die Verantwortlichen vorzugehen.

Seine Rechtanwältin Alexandra Glufke-Böhm aus Regensburg besucht regelmäßig ihren Mandanten. Seine hoffentlich letzte, die 25. Operation, liegt hinter ihm. Doch es will gesundheitlich noch nicht recht aufwärts gehen.

"Mir geht es heute nicht gut. Ich habe Schmerzen weiterhin in beiden Beinen und das Bein, das brennt dauernd.“

Werner Rauscher, Patient

Rückblick auf 2016

Im Mai 2016 klagt Werner Rauscher über Wortfindungsstörungen. Seine Frau alarmiert die Rettungsleitstelle. Die Sanitäter nehmen ihn mit. Auf dem Weg zum Krankenhaus steigt ein Notarzt zu. Nach den Schilderungen von Rauscher will er einen Zugang legen. Da die Venen bei dem Patienten so schlecht sind, entscheidet er sich für einen Tibia-Zugang. Der befindet sich ein Stück unterhalb des Knies. Rauscher lehnt ab, will das nicht.

"Und der eine Sanitäter hat mir dann das Bein festgehalten. Ich war angeschnallt auf der Trage und der hat seinen Koffer aufgemacht, hat die Bohrmaschine rausgeholt und hat dann nicht an der Stelle, wo er angegeben hat, sondern unten hineingebohrt. Und dann habe ich regelrecht gemerkt wie der Bohrer durch den Knochen durchgesaust ist und auf dem Nerv gelandet ist und der hat noch weitergebohrt gehabt und ich habe geschrien bis zum geht nicht mehr.“ 

Werner Rauscher, Patient  

Eine Tortur beginnt. Die Wunde wächst nicht zu. Drei Keime fängt sich Rauscher ein. Am Schluss muss sogar Haut vom Oberschenkel transplantiert werden. Der Regensburger lebt jetzt mit ständigen Schmerzen.

Statistiken sind mit Vorsicht zu genießen

Die Statistik des Medizinischen Dienst der Krankenkassen, MDK, sagt nicht wirklich aus, dass Behandlungsfehler zugenommen haben. Denn oft melden sich Patienten nicht dort, sondern wenden sich gleich an Gerichte, Anwälte oder Versicherungen. Das bemängelt auch Deutschlands obersters Patientenschützer. Wie der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk erklärte, sammeln drei Insitutionen hierzulande Behandlungsfehler. Neben den Krankenkassen, sind das die Ärztekammern und die Gerichte. Deshalb fordert Brysch ein zentrales Register für Behandlungsfehler und Pflegefehler. Er erhofft sich davon mehr Transparenz.

Aber es zeichnet sich klar ab: Die Patienten sind mutiger geworden, für sie sind die Ärzte keine Götter in weiß mehr, so Rechtsanwältin Alexandra Glufke-Böhm.

"Wir merken einfach, dass die Bereitschaft der Patienten größer geworden ist sich in solchen Fällen, in Anführungsstrichen, zu offenbaren. Es bestehen Haftpflichtversicherungen, es gibt eigene Medizinkammern, die bei Gerichten eingerichtet sind und das fördert natürlich auch die Bereitschaft offener natürlich mit dem Thema umzugehen, es enttabuisiert und das war auch wirklich wichtig, ja."

Alexandra Glufke-Böhm, Rechtsanwältin 

Zahl der Verfahren steigt

Fakt ist, dass die Zahl der Gerichtsverfahren in Sachen Arzthaftungsrecht stetig steigt. Waren es 2016 noch 76 Verfahren am Oberlandesgericht München, stiegen sie im Jahr 2017 auf 99. Das OLG Bamberg hatte 2016 56 Verfahren und 2017 - 71. Oft enden Prozesse aber nicht mit einem Urteil, so Rechtsanwältin Alexandra Gufke-Böhm.

"Viele Verfahren werden heute einfach so wegreguliert, weil die Versicherungen auch ihre Chancen kennen und sich zum Teil gar nicht mehr auf Gerichtsverfahren einlassen.“ 

Alexandra Glufke-Böhm, Rechtsanwältin 

Der Patientenschützer Brysch fordert eine Beweislastumkehr, denn die Patienten haben gar nicht alle Daten zur Verfügung. Einig sind sich alle Statistiken über Behandlungsfehler in der Rangliste der Beschwerden. Ganz oben steht nach wie vor die Chirurgie. Hier vor allem Operationen an Knien und Hüftgelenken. Im Bereich der Hausärzte ist die häufigste Fehlerursache die Diagnostik.