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Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD)

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Sigmar Gabriel - "Champagner für die SPD"

Sigmar Gabriel nervt viele in der SPD. Andererseits ist er Deutschlands beliebtester Politiker - und vielleicht immer noch das größte politische Talent seiner Generation. Kann die SPD auf so einen wirklich verzichten? Von Daniel Pokraka

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"Wenn Sie glauben, dass Champagner nur ein Getränk ist, dann ist Sigmar Gabriel auch nur ein SPD-Mitglied." Dieses Zitat ist fast 20 Jahre alt; laut Gabriels Biografen Christoph Hickmann und Daniel Friedrich Sturm stand es damals auf Gabriels Internetseite sigmar.de. Wer diese Internetadresse heute eingibt, landet bei der SPD und wird gebeten, Mitglied zu werden.

Sigmar Gabriel bei GroKo-Verhandlungen außen vor

Dabei hat Sigmar Gabriel in der SPD offiziell nicht mehr viel zu sagen. Die Sondierungsgespräche mit CDU und CSU finden ohne ihn statt. Keiner der amtierenden SPD-Minister sitzt mit am Tisch (auch, damit nicht der Verdacht aufkommt, sie wollten nur ihr Amt retten). Stattdessen dabei: Die sechs Parteivizes - unter ihnen Olaf Scholz und Ralf Stegner, die jüngst beim SPD-Parteitag nur wenig mehr als 50 Prozent bekamen. Wiederwahlen aus Höflichkeit. Politisches Graubrot.

Sigmar Gabriel dagegen ist laut ARD-Deutschlandtrend der beliebteste Politiker des Landes. Natürlich hat das viel mit dem Amt des Außenministers zu tun - aber alleine dadurch lässt sich Gabriels Beliebtheit nicht erklären. Womit wir wieder beim Champagner wären.

Gabriel ist auch nach seinem Rückzug vom SPD-Vorsitz kein einfaches Parteimitglied. Er fühlt sich verantwortlich, ist zur schonungslosen Analyse fähig und schert sich nicht darum, ob das allen gefällt. So erklärt sich Gabriels Aufsatz im "Spiegel".

Sigmar Gabriel kritisiert Ausrichtung der SPD

Darin wirft er der SPD vor, sich wohlzufühlen in postmodernen Debatten; sich mehr über die Ehe für alle zu freuen als über die Einführung des Mindestlohns, Datenschutz wichtiger zu finden als Innere Sicherheit, Klimaschutz wichtiger als Industriearbeitsplätze.

Diese Kritik ist letztlich nicht viel anderes als Gabriels gefeierte Dresdner Parteitagsrede von 2009, als er SPD-Vorsitzender wurde. Da warnte er die SPD davor, sich in Sitzungsräume und Vorstandsetagen zurückzuziehen, bezeichnete SPD-Politik als aseptisch, klinisch rein, durchgestylt. Der entscheidende Satz: "Wir müssen raus ins Leben. Da, wo es laut ist, da, wo es brodelt, da wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt."

Viele SPDler genervt von Sigmar Gabriel

Nun kann man mit Juso-Chef Kevin Kühnert argumentieren, dass Gabriel als Parteichef reichlich Zeit hatte, die SPD entsprechend auszurichten und zum Erfolg zu führen. Man kann ihn wie die baden-württembergische SPD-Chefin Leni Breymaier bitten, auszuhalten, dass jetzt ein anderer Vorsitzender ist. Oder wie eine SPD-Hinterbänklerin aus Hessen twittern, dass einem Gabriel "auf den Senkel" geht.

Man kann aber auch wie andere in der SPD (sogar aus dem Schulz-Landesverband Nordrhein-Westfalen) der Meinung sein, dass Gabriels Beitrag im "Spiegel“ "gar nicht so schlimm“ ist - und sich inhaltlich damit auseinandersetzen. Gabriel mag in seiner Zeit als SPD-Chef Fehler gemacht haben; es hatte seinen Grund, dass nach seinem Abgang ein Aufatmen durch die Partei ging. Aber seine analytischen Fähigkeiten und sein politischer Instinkt sind unbestritten. Gabriels Biografen Hickmann und Sturm finden, für Gabriel könnte der Begriff des politischen Tiers erfunden worden sein.

Das "politische Tier“ Sigmar Gabriel

Man erkennt das in Bundestagsdebatten, in denen er - anders als andere Minister - die Abgeordneten zu Zwischenfragen geradezu auffordert, mit ihnen auf offener Bühne diskutiert. Man erkennt das, wenn er auf Bürger zugeht und ihnen das Gefühl gibt, ihr Anliegen sei gerade das Wichtigste auf der Welt. Und man erkennt das an Tempo und Tiefe, mit denen er sich in seine Themen einarbeitet - Umweltminister, Wirtschaftsminister, Außenminister, Generalist.

Hat die SPD noch jemanden von der Sorte? Rhetorisch so brillant, bei den Leuten so bekannt, zurzeit sogar beliebt - und derart in der Lage, mit einem "Spiegel"-Aufsatz die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, weg vom angeschlagenen Parteichef Martin Schulz, der ein bisschen Ruhe vielleicht sogar brauchen kann?

Sigmar Gabriel könnte noch gebraucht werden

Schulz will angeblich, sollte es wieder eine Große Koalition geben, für die SPD das Finanzministerium beanspruchen. Er selbst will unter Angela Merkel nicht Minister werden. Die Fachpolitiker der SPD drängen sich nicht wirklich auf. Sicher zuzutrauen ist der Job dem erfahrensten SPD-Minister: Sigmar Gabriel.