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VW - Auspuff

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Neuer Abgastest WLTP bringt Autoindustrie ins Schlingern

Der neue WLTP-Test soll Abgas-Schummeleien künftig verhindern. Doch VW-Kunden, die sich für einen Neuwagen interessieren, müssen beim Autokauf ein kompliziertes Prozedere über sich ergehen lassen. Von Arne Meyer-Fünffinger und Josef Streule

WLTP - das international einheitliche Test-Verfahren (World Harmonized Light Vehicle Test Procedure) gilt ab dem 1.09.2018 EU-weit für Neuzulassungen von PKW und leichten Nutzfahrzeugen. Es soll dafür sorgen, dass Herstellerangaben zu CO2-Ausstoß und Kraftstoffverbrauch realistischer werden.

Gerade Volkswagen hat Probleme damit: Zahlreiche Modellvarianten haben den WLTP-Test noch nicht durchlaufen. Interne VW-Dokumente, die BR Recherche vorliegen, zeigen: Viele Fahrzeuge kann der Konzern erst frühestens Ende des Jahres ausliefern, darunter populäre Modelle wie den Golf Kombi mit 2.0 Liter Diesel-Motor. Was bedeutet das für Verbraucher, die sich jetzt nach einem Neuwagen umsehen?

Autoindustrie: Durch WLTP dürfte Kfz-Steuer steigen

In München machen wir mit Marion Jungbluth von der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) einen Test. Wir lassen uns in drei Autohäusern (VW, Audi, Renault) beraten, um herauszufinden, wie Verkäufer über die Folgen des neuen WLTP-Standards informieren. Der Automobilindustrie-Verband VDA rechnet schließlich damit, dass die gemessenen CO2-Emissionen um 20 Prozent höher liegen werden. Dadurch dürfte am Ende auch die Kfz-Steuer steigen.

VW-Händler verlangt Unterzeichnung einer Zusatzvereinbarung

Das Ergebnis: Audi ist transparent, was eine höhere Kfz-Steuer angeht. Renault gibt zu: Aktuell sind viele Modellvarianten wegen der Umstellung nicht liefer- und auch nicht bestellbar. VW hinkt in der Produktion auch hinterher, trotzdem können Kunden die Fahrzeuge bestellen. Dass die Kfz-Steuer steigen kann, erfahren wir im Münchner Autohaus nur auf Nachfrage. Außerdem ist die Unterzeichnung einer Zusatzvereinbarung obligatorisch.

"Zum heutigen Tag können wir Ihnen die nach WLTP ermittelten Werte für Ihr Fahrzeug leider noch nicht mitteilen. Sobald uns die vom Kraftfahrtbundesamt bestätigten Verbrauchs- und CO2-Werte nach dem neuen Prüfzyklus vorliegen, werden wir Sie unverzüglich unterrichten. Ich habe den Hinweis zur Kenntnis genommen und bin mit der möglichen Änderung meiner Bestellung einverstanden." Aus der ersten VW-Zusatzvereinbarung

Autokauf mit Hindernissen

Damit ist der Autokauf aber noch nicht geschafft. Ein weiteres aktuelles internes VW-Dokument ("Prozessupdate WLTP") zeigt: Sobald für das bestellte VW-Modell die nach WLTP-Standard ermittelten Werte vorliegen, soll der Kunde in einer weiteren Zusatzvereinbarung die Bestellung des Fahrzeugs bestätigen. Könnte er dann noch vom Kauf zurücktreten? Der Verkäufer des besuchten VW-Autohauses, so Verbraucherschützerin Marion Jungbluth, "hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass man natürlich einen Rücktritt versuchen kann. Aber das wäre dann eine Frage der Anwälte." Das will VW so nicht stehen lassen. Auf Anfrage stellt eine Konzernsprecherin klar, der Kunde könne vom Kauf zurücktreten und müsse das Fahrzeug nicht abnehmen.

EU-Kommission und Bundesregierung widersprechen VDA

Der Automobilindustrie-Verband VDA kritisierte am 2. Juni in einer Pressemitteilung, die WLTP-Umstellung sei "überhastet" erfolgt. Eine Behauptung, die laut EU-Kommission falsch ist:

"Die Autohersteller waren tatsächlich jahrelang an diesem Prozess beteiligt und hatten genug Zeit, die notwendige Technologie zu entwickeln." Lucia Caudet, Sprecherin EU-Kommission

Auch das Bundesverkehrsministerium weist die VDA-Kritik zurück:

"Der Zeitplan, insbesondere das verbindliche Einführungsdatum des WLTP für alle Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bei der Erstzulassung 01.09.2018 ist seit Jahren bekannt. Die neuen Anforderungen sind den Herstellern spätestens seit Veröffentlichung der Verordnung (EU) 2017/1151 vom 1. Juni 2017 im Amtsblatt der EU auch formell bekannt." Bundesverkehrsministerium auf BR-Anfrage

Seit 2009 ist die Autoindustrie eingebunden

Interne EU-Unterlagen und Dokumente der Bundesregierung, die BR Recherche einsehen konnte, bestätigen das. Mindestens seit 2009 saßen Vertreter von Autoindustrie und Ministerien zusammen, um über die WLTP-Einführung zu beraten. Mehrfach hielten Mitarbeiter vom Verkehrs- und Umweltministerium fest, dass Konzerne und VDA permanent eingebunden sind. "Hierzu soll auch ein Fachgespräch mit dem Verband am 17. Juni stattfinden", notiert der Mitarbeiter eines Fachreferates im Umweltministerium am 10. Juni 2013.

VDA will WLTP-Einführung verzögern

Parallel versucht der VDA, die Bundesregierung von einer späteren WLTP-Einführung zu überzeugen. Das wird in einer Vorlage für den damaligen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt deutlich:

"Die Bundesregierung setzt sich ebenso wie die EU-Kommission für eine frühestmögliche Anwendung des WLTP ein. (Ziel: 2017/2018). Mitgliedsstaaten wie Frankreich oder Italien sowie der VDA sehen eine frühzeitige Einführung kritisch." Vermerk des Bundesverkehrsministeriums

Bundesregierung gibt nicht nach

Allerdings sind die Experten im Bundesverkehrsministerium nicht gewillt nachzugeben. Am Ende verändert sich das Einführungsdatum nicht: Seit dem 1.9.2017 wird das neue Prüfverfahren WLTP schrittweise eingeführt. Wieso bringt es vor allem Volkswagen so ins Schlingern? Nach Ansicht des Auto-Experten Stefan Bratzel hat sich der Konzern zu spät vorbereitet.

"Aus meiner Sicht war es tatsächlich ein Managementfehler, man hat sich nicht die Zeit genommen, rechtzeitig die WLTP-Anpassung zu planen und entsprechend Kapazitäten vorzusehen und deswegen kommt man jetzt in Rücklage. Das muss man jetzt managen." Stefan Bratzel, Center of Automotive Management, Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach

Das wird wirtschaftliche Folgen für VW haben. So will der Konzern produzierte Fahrzeuge, die das WLTP-Verfahren noch nicht durchlaufen haben, auf dem Berliner Flughafen BER abstellen. Erste Audi-Zulieferer haben wegen der Situation Kurzarbeit angemeldet. Und die Kunden? Für die ist der Kauf eines VW-Neuwagens derzeit komplizierter als nötig. Deswegen übt auch die Verbraucherschützerin am Ende unseres Tests Kritik.

"Man greift lieber zu juristischen Winkelzügen und bringt die Autokäufer im Prinzip dazu, die Katze im Sack zu kaufen: Nämlich ein Auto zu bestellen, das anders ist als das, was ich später ausgeliefert bekomme." Marion Jungbluth, Verbraucherzentrale Bundesverband