Das katholische Erzbistum München und Freising ist mit beinahe 1,7 Millionen Mitgliedern das fünftgrößte in Deutschland, bei der Zahl der Austritte liegt es zum wiederholten Mal ganz vorn. Fast 18.000 Menschen haben der katholischen Kirche im Erzbistum im vergangenen Jahr den Rücken gekehrt.
Aber auch in anderen bayerischen Bistümern ist keine Trendwende zu beobachten: In Passau zum Beispiel liegt die Zahl der Kirchenaustritte mit mehr als 200 über dem Vorjahr. Passaus Bischof Stefan Oster nennt die Zahlen "besorgniserregend hoch". Jeder Mensch, der die Kirche verlasse, setze damit ein Zeichen: "Das nehmen wir ernst", sagt Oster.
Trotz Reformationsjubiläum viele Austritte aus der Evangelischen Kirche
Die evangelische Landeskirche konnte von der Aufmerksamkeit, die ihr das Reformationsjubiläum 2017 beschert hat, nicht profitieren und verlor 23.647 Mitglieder durch Austritt. "Die Pfarrerinnen und Pfarrer engagieren sich nach Kräften, kommen aber an viele Menschen nicht mehr heran", heißt es in einer Mitteilung der Landeskirche.
Helfen soll ein Erneuerungsprozess, den die Kirche vor einem Jahr eingeleitet hat. Man könne sich nicht mehr darauf verlassen, dass die Menschen zur Kirche kommen. Nun wird geprüft, ob zum Beispiel die Gottesdienstzeiten am Sonntagvormittag überhaupt noch zeitgemäß sind.
"Wenn der erste Gehaltszettel kommt und man sieht, dass da auch Kirchensteuer drauf ist - das sind häufig so Situationen: Hm, ich hab' jetzt mit Kirche kaum mehr was zu tun, da tret' ich doch aus und spar' ich mir Geld." Sebastian Kühnen, evangelische Kircheneintrittsstelle in München
Soziale Engagement der Kirchen - auch für Flüchtlinge - wird positiv gesehen
Die Kirchensteuer sei oft das letzte i-Tüpfelchen, das die Entscheidung zum Austritt besiegle, beobachtet Pfarrer Sebastian Kühnen von der evangelischen Kircheneintrittsstelle in München. Bis zur Jugend seien noch viele in der Kirche verwurzelt. Dem Kirchenaustritt gehe in der Regel ein langfristiger Entfremdungsprozess voraus, oft gehe es um fehlende Bindung – zu diesem Ergebnis kommt der katholische Theologe Ulrich Riegel von der Universität Siegen.
Er hat für das Bistum Essen rund 3.000 Menschen befragt, warum sie Kirchenmitglied sind oder die Kirche verlassen haben. Interessant ist nach den Worten des Theologieprofessors, dass das soziale Engagement der Kirchen, etwa für Flüchtlinge, durchweg positiv gesehen werde: "Das Problem ist nicht das, was Kirche im sozialen Bereich macht, sondern, wenn es um die eigentlichen Themen des Glaubens geht."
Kirchensteuer, Entfremdung und Glaubenszweifel
Hat die Kirche mit ihrer Botschaft ein Glaubwürdigkeitsproblem? In der evangelischen Kirche setzt man jedenfalls derzeit stark auf das Kerngeschäft: Menschen spirituell begleiten, wie Pfarrer Sebastian Kühnen von der evangelischen Kircheneintrittsstelle in München erläutert: "Taufe, Konfirmation, Trauung und Beerdigung, das sind die vier Amtshandlungen, die wir haben, wo es eben darum geht, Menschen in besonderen Situationen ihres Lebens zu begleiten." In der Gesamtstatistik bemerkbar macht sich dieses Engagement derzeit aber nicht.