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"Holocaust-Gesetz" in Polen: Israel ist entsetzt

Das in Polen beschlossene "Holocaust-Gesetz" sorgt für Zwist. Es sieht bis zu drei Jahre Haft für Aussagen vor, die dem polnischen Volk Mitverantwortung für Nazi-Verbrechen unterstellen. Israel lehnt das Gesetz kategorisch ab. Von Benjamin Hammer

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Die Jüdin Halina Birenbaum überlebte das Warschauer Ghetto und das Vernichtungslager von Auschwitz. Nach dem Krieg wanderte sie nach Israel aus und wurde Schriftstellerin. Für das neue Gesetz, das in ihrer früheren Heimat Polen verabschiedet wurde, hat sie absolut kein Verständnis.

"Alle wissen doch, dass die Deutschen den Holocaust begangen haben." Halina Birenbaum im israelischen Armeeradio.
"Wer jetzt sagt, es habe polnische Vernichtungslager gegeben, muss für drei Jahre ins Gefängnis. Aber was ist mit denen, die das Thema wissenschaftlich erforschen? Was ist mit denen, die aus einem Affekt heraus sagen: Das war ein polnisches Lager, weil es eben in Polen lag? Müssen die ins Gefängnis? Das ist doch völlig verrückt. Es steht in keinem Verhältnis zu dem, was den Juden dort widerfahren ist." Halina Birenbaum, Überlebende des Warschauer Ghetto

Auch historisch korrekte Aussagen unter Strafe?

In Warschau stimmte auch die zweite nationale Parlamentskammer für das umstrittene Gesetz. Es sieht Geld- und Gefängnisstrafen vor, falls jemand öffentlich und entgegen der Wahrheit Polen eine Mitverantwortung für die Verbrechen der Nationalsozialisten zuschreibt. Kritiker des Gesetzes bemängeln, dass es zu unpräzise formuliert sei. Damit könnten auch historisch korrekte Äußerungen unter Strafe gestellt werden. 

Drohen diplomatische Verwicklungen?

Eine der heftigsten Reaktionen in Israel kam von Tsipi Livni. Sie ist Oppositionspolitikerin und frühere israelische Außenministerin. Mit dem Gesetz spucke Polen Israel und dem jüdischen Volks ins Gesicht. Israel müsse nun mit harter Hand reagieren und die Verbrechen der Polen während des Holocausts dokumentieren. Der israelische Verkehrsminister Israel Katz forderte, dass sein Land den israelischen Botschafter aus Warschau abzieht. Auch Yair Lapid, der Vorsitzende der Oppositionspartei Jesch Atid, reagierte entsetzt. Dutzende seiner Vorfahren wurden im Holocaust ermordet.

"Wie alle Israelis bin ich zutiefst bestürzt. Was will uns dieses Gesetz sagen? Dass Juden in Polen nicht mit polnischer Hilfe umgebracht wurden? Die Geschichte zeigt, dass es genauso war. Niemand kann die Geschichte umschreiben." Yair Lapid, Vorsitzender der Partei Jesch Atid

"Deutsche oder polnische Todeslager"?

Worum es den Israelis nicht geht: Die Schuld und Verantwortung kleinzureden, die Deutschland für den Holocaust trägt - und nicht Polen. Laut Gesetz darf in Zukunft nicht mehr von "polnischen Todeslagern" gesprochen werden, wenn es eigentlich um Konzentrationslager der Deutschen geht. Mit diesem Punkt, erklärten Vertreter von Israels Regierung, seien sie einverstanden. Die Israelis befürchten jedoch, dass das Gesetz noch viel weiter geht - und legitime Äußerungen über Polen verboten werden, die mit den Deutschen kooperierten. Diese Sorge hat auch David Silberklang, ein Historiker der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.

"Es scheint so, als ob die Polen die Geschichte neu schreiben will. In einen nationalistischen Narrativ, in dem die Polen einzig und allein die Opfer waren. In der Tat: Die Polen waren Opfer der Deutschen. Die Deutschen haben auch viele Polen ermordet, die nicht jüdisch waren. Das Gesetz versucht nun jedoch, ein schwieriges Thema zu verhindern. Dass es Polen gab, die einerseits Opfer waren jedoch auch zu Mittätern wurden." David Silberklang, Historiker der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem

Hinter den Kulissen bemühen sich die Regierungen von Israel und Polen, eine weitere diplomatische Eskalation zu verhindern. Der israelische Botschafter in Warschau wurde bisher nicht abgezogen. Der polnische Präsident deutete bereits an, dass er vermitteln könne. Und auf ihn kommt es nun an: Die neuen Vorschriften werden nur mit seiner Unterschrift gültig.