Nach dem überraschenden Rücktritt von Co-Chefin Susanne Hennig-Wellsow will die Linken-Vorsitzende Janine Wissler die Partei bis auf Weiteres allein weiterführen. Das teilte ein Parteisprecher nach einer Krisensitzung des Bundesvorstands mit. Wissler habe eine entsprechende Bitte des Bundesvorstands angenommen.
Vorwürfe sexueller Übergriffe gegen Linken-Politiker in Hessen
Bei der Krisensitzung hat der Linken-Parteivorstand der Vorsitzenden Janine Wissler vorerst das Vertrauen ausgesprochen, die Partei bis zum nächsten Wahlparteitag zu führen. Auch Wissler war zuletzt wegen eines "Me-too"-Skandals in ihrem Heimatlandesverband Hessen unter Druck geraten. Die Links-Partei sieht sich derzeit mit Sexismus-Vorwürfen konfrontiert.
So soll es in der hessischen Linkspartei nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel jahrelang zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. Es gebe Dokumente wie Chatverläufe, Fotos oder E-Mails sowie eidesstattliche Versicherungen von Betroffenen mit Hinweisen auf "mutmaßliche Grenzüberschreitungen, Machtmissbrauch und eine toxische Machokultur", berichtet das Magazin. Bei Twitter wurden die Vorwürfe unter dem Hashtag #linkemetoo diskutiert.
Experten sollen Vorwurf sexueller Übergriffe untersuchen
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch rief seine Partei dazu auf, keine "innerparteilichen Kriege" mehr zu führen. Forderungen nach einem Rücktritt von Janine Wissler wies er zurück. Die neue Parteiführung für die negativen Wahlergebnisse im Saarland und bei der Bundestagswahl verantwortlich zu machen, sei aus seiner Sicht falsch.
Bei der Krisensitzung wurde auch der Beschluss gefasst, den Vorwurf sexueller Übergriffe in der Partei von einem externen Experten-Gremium untersuchen zu lassen. Zudem solle eine unabhängige Beratungsstruktur eingerichtet werden, "die aus erfahrenen Frauen aus feministischer Anti-Gewaltarbeit und Betroffenenunterstützung sowie erfahrenen Anwältinnen besteht", so Bartsch. Sie sollen die weitere Aufklärung der bekannt gewordenen Fälle mit betreuen, Anlaufstelle für künftige Betroffene sein und Vorschläge für den Umgang erarbeiten.
Susanne Hennig-Wellsow war gemeinsam mit Janine Wissler am 27. Februar 2021 zur ersten weiblichen Doppelspitze der Partei gewählt worden. Bei der Bundestagswahl im September hatte die Linke dann nur 4,9 Prozent erzielt und erhielt sich lediglich aufgrund von drei Direktmandaten ihren Fraktionsstatus im Parlament.
Partei befindet sich in einer der schwersten Krisen
In ihrer Rücktrittserklärung zog Hennig-Wellsow ein vernichtendes Fazit des aktuellen Zustands der Partei: "Das Versprechen, Teil eines Politikwechsels nach vorn zu sein, konnten wir aufgrund eigener Schwäche nicht einlösen." Ihren Rücktritt begründete die 44-Jährige zudem mit ihrer privaten Lebenssituation und damit, dass die Erneuerung der Partei neue Gesichter brauche. Zudem kritisierte sie, dass der "Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen eklatante Defizite unserer Partei offen gelegt" habe.
Bartsch sieht seine Partei nach dem Rücktritt der Co-Parteivorsitzenden Susanne Henning-Wellsow in einer ihrer bislang schwersten Krisen. Hennig-Wellsows Rücktritt sei für ihn überraschend gekommen und ein "herber Schlag" für die Linkspartei, sagte Bartsch in den ARD-"Tagesthemen. Der Rücktritt werde die ganze Partei ein Stück weit treffen.
Strategische Fragen und programmatische Erneuerung
Die Linke müsse sich nun strategischen Fragen stellen: "Was ist unser Platz in der Bundesrepublik Deutschland? Was ist unser Platz im nächsten Jahrzehnt? Diese Fragen stehen an, denen müssen wir uns stellen und gleichzeitig in den aktuelle Auseinandersetzungen eingreifen." Auch die programmatische Erneuerung müsse vorangetrieben werden.
Ursprünglich waren weitreichende Entscheidungen erst für das Wochenende von der Linken-Führung vorgesehen, wurden aufgrund der aktuellen Entwicklungen aber vorgezogen. Am Mittwoch Nachmittag hatte Susanne Hennig-Wellsow ihren Rücktritt erklärt und darin unter anderem als Grund auch den Umgang ihrer eigenen Partei mit den Vorwürfen sexueller Übergriffe genannt.
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