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Cannabis-Pflanzen, aus denen auch Marihuana hergestellt wird

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Ein Jahr Cannabis auf Rezept - eine Zwischenbilanz

Seit dem 10. März 2017 können Ärzte schwerkranken Patienten Cannabisblüten verschreiben. Die Regeln dafür sind streng, dennoch steigt die Nachfrage rasant. Größter deutscher Anbieter: eine Firma aus der Oberpfalz. Von Michael Kubitza

Rund 44.000 Einheiten Cannabis-Blüten haben die Apotheken 2017 auf Rezept abgegeben. Andreas Kiefer, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts (DAPI) meldet einen sprunghaften Anstieg von 4.615 Rezepten im Zeitraum April bis Juni auf 12.717 Verordnungen im vierten Quartal.

Zwar ermittelt das DAPI aus Datenschutzgründen nicht, wieviele Patienten Cannabis auf Rezept erhalten haben, doch Kiefer geht davon aus, dass es weitaus mehr sind als die etwa 1.000 Patienten, die vor Inkrafttreten des Gesetzes eine Ausnahmegenehmigung hatten. Besonders groß ist die Nachfrage nach Beobachtungen der Barmer Ersatzkasse in Bayern.

"Cannabisrezepturen sind zumindest teilweise im Versorgungsalltag angekommen." Andreas Kiefer, DAPI

Was im Gesetz steht

Klar ist: Das Gesetz lädt nicht dazu ein, sich auf Staatskosten ein Tütchen reinpfeifen. Cannabis gilt auch weiterhin als Rauschgift und fällt unter das Betäubungsmittelgesetz. Damit die Behandlung genehmigt wird und die Krankenkassen die Kosten erstatten, müssen drei Bedingungen erfüllt sein: Es muss eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen. Es muss die konkrete Aussicht bestehen, dass Cannabis hilft. Und: Es gibt keine vergleichbar geeignete Therapie-Alternative. Bei den vier größten Krankenkassen lehnte deren Medizinischer Dienst ein Drittel der Anträge vorerst ab.

Klar ist auch: Cannabis auf Rezept ist für die einen ein Kostenfaktor, für die anderen ein gutes Geschäft. Entsprechend vielstimmig fällt die Bilanz zum Cannabis-Jubiläum aus.

Was Apotheker, Kassen und Ärzte sagen - und was ein Praxistest ergibt

Für DAPI-Chef Kiefer - zugleich Präsident der Bundesapothekerkammer - ist das neue Gesetz ein voller Erfolg.

"Erstens werden die Patienten nicht mehr mit der Dosierung und Anwendung allein gelassen. Zweitens ist es für viele Patienten deutlich preiswerter geworden. Bei einer Genehmigung der Krankenkasse fällt nur noch die Zuzahlung an, die auf maximal zehn Euro pro Medikament begrenzt ist. Drittens können Patienten ihre Cannabis-Verordnungen bundesweit in jeder Apotheke einlösen." Andreas Kiefer

Ein Selbstversuch der Puls-Redaktion weckt an diesen Angaben allerdings Zweifel. Bei Testkäufen waren die meisten Apotheken schlecht vorbereitet. Und das, obwohl der Apothekenpreis je Gramm bei über 20 Euro liegt und die Herstellungskosten damit um ein Vielfaches übersteigt. Der Gesetzgeber veranschlagt monatliche Kosten von durchschnittlich 540 Euro. Die Kassen berichten zudem von Anlaufproblemen, etwa von fehlerhaften oder unvollständige Anträgen. Denn vielen Ärzten fehlt das Wissen, um ihre Verschreibungen genau genug zu begründen - weshalb bisher nur rund 1.000 Mediziner tatsächlich Cannabinoide verschrieben haben.

"Seit der Gesetzesänderung tauchen immer wieder neue Fragen auf - sei es bei der Auswahl der Darreichungsform, der Dosierung, den Indikationen oder auch beim Verordnungsprozedere" Johannes Orlemann, Arzt und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerz- und Palliativmedizin (DGS)

"Big Player" auf dem neuen Markt: Kanada, die Niederlande und die Oberpfalz

Bei vielen Anbietern herrscht dennoch Goldgräberstimmung. Auf den Markt drängen bisher vor allem Firmen aus den Niederlanden sowie aus Kanada, wo es 36 Millionen Einwohnern schon über 200.000 registrierte Empfänger von medizinischem Cannabis gibt. Die kanadische Nuuvera hat in Hamburg gerade ein Büro eröffnet und errichtet im nahen Bad Bramstedt einen Tresor zur Cannabis-Lagerung - inklusive Alarmanlage mit Verbindung zur Polizei, Wandstärke Sicherheitsstufe 3 sowie Bewegungs- und Erschütterungsmeldern.

Unter den deutschen Anbietern hat sich der Arzneihersteller Bionorica aus Neumarkt in der Oberpfalz als Platzhirsch etabliert, der seinen Hanf in Österreich anbauen lässt. Bei seinem Cannabis-Mittel Dronabinol hat sich der Umsatz 2017 mehr als verdoppelt, die Zahl der Patienten fast verdreifacht.

Künftig will der Bund den Anbau hierzulande sichern. Eine Cannabis-Agentur unter dem Dach des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte schreibt Aufträge aus.

Es geht um die Lizenzen für 6.600 Kilo medizinisches Cannabis, das über vier Jahre angebaut werden soll. Mehr als 100 Firmen hätten sich beworben, heißt es, etwa zehn kommen in die Endrunde. Die erste Ernte unter Staatsaufsicht ist 2019 geplant.

Wogegen Cannabis hilft: Große Hoffnungen - noch wenig Erfahrung

Die Hanfpflanze enthält über 100 spezifische Inhaltsstoffe. Der wichtigste von ihnen ist das Tetrahydrocannabinol – kurz THC. Der Wirkstoff kann bei bestimmten chronischen Schmerzen und Epilepsie helfen, soll Spastiken - etwa bei Multipler Sklerose - und die Übelkeit nach einer Chemotherapie lindern. Schmerzmediziner Horlemann hofft zudem auf den Erfolg der präventiven Verordnung bei Erkrankungen, "die zunächst gar nicht mit Schmerzproblemen assoziiert werden - etwa Parkinson, Apoplexie, Demenz und auch Diabetes."

Um ein harmloses Mittel handelt es sich bei Cannabis allerdings nicht, wie Heinz-Ulrich König von der Siemens Betriebskrankenkasse betont: "Es gibt mehrere Kontraindikationen, bei denen es die Beschwerden noch verschlimmern kann, wie zum Beispiel Psychosen." Und Josef Mischo von der Bundesärztekammer warnt davor, in Cannabis eine Art Allzweck-Wundermittel zu sehen. Er fordert, Anwendungsgebiete und Behandlungserfolge mit Studien sehr genau zu prüfen - "gerade angesichts der Hoffnungen vieler Kranker."